Illustration: Angelica Bebing

Ägyptens Schattenseite

Ägypten ist ein Land mit langen Sandstränden, schönen und luxuriösen Hotelanlagen und vielen touristischen Attraktionen, die der ägyptischen Hochkultur 3000 v. Chr. entstammen. Darunter die Sphinx, das Tal der Könige oder die Pyramiden von Gizeh.

Kein Wunder ist der Tourismus der wichtigste Wirtschaftszweig des Landes. Ägypten liegt im Nordosten Afrikas und beherbergt mit Kairo die grösste Stadt des Kontinents und Arabiens. Von mehr als 97 Millionen Einwohnern sind 90% Muslime. Christentum und Judentum sind zwar offiziellanerkannt, werden im Untergrund aber zusammen mit zahlreichen anderen Religionen unterdrückt. Auf dem Weltverfolgungsindex von Open Doors, einer Organisation im Dienst der verfolgten Christen weltweit, ist Ägypten auf Platz 16 gelistet. Immer wieder wird von nieder- gebrannten Kirchen oder sexuellen Übergriffen auf Christinnen und Christen berichtet.

Seit der Revolution im Jahr 2011 kehrte in Ägypten nie Ruhe und Stabilität ein. Im Jahr 2014 wurde eine neue Verfassung, die ein semipräsidentielles Regierungssystem vorschreibt, verabschiedet. Dabei kann der vom Volk gewählte Präsident, seine Stellvertreter und die Regierung ernennen, den Notstand ausrufen und Verordnungen und Verträge abschliessen. Weiter ist er auch noch der Oberbefehlshaber des Militärs. Das ägyptische Parlament besteht aus zwei Kammern. Zum einen aus der Volksversammlung mit 454 Mitglieder, wovon der Präsident zehn selbst bestimmen kann.

Zum anderen aus dem Schura-Rat, der mit seinen 264 Mitgliedern fast ausschliesslich beratende Kompe- tenzen hat. Seit April 2017 ist ein nationaler Notstand in Kraft, der Sicherheitskräften unkontrollierte Macht verleiht und es ermöglicht Menschenrechte weiter zu tangieren. Aus dem Jahresbericht 2020 von Human Rights Watch geht hervor, dass seit 2017 ca. 600 News-, Politik- und menschenrechtsaktivistische Websites, Social Media Kanäle und Apps blockiert wurden. Ein neues Gesetz vom Juli 2017 verbietet zudem NGOs Recherchen, Studien und Meinungsumfragen ohne das Einverständnis der Regierung durchzuführen. Im April 2019 brachte der aktuelle Präsident al-Sisi eine Verfassungsänderung durch, die es ihm ermöglicht sein Amtszeit bis ins Jahr 2030 zu verlängern. Zudem hat er durch die Ernennung der höchsten Richter und Staatsanwälte auch noch mehr Einfluss in der Judikative und erhält mehr Macht über das Militär. Am 20. September 2019 kam es in Folge kleinerer Proteste gegen al-Sisis Regierung zu Massenverhaftungen von über 4’400 Menschen.

Illustration: Angelica Bebing

Die Organisation Reporter ohne Grenzen, welche über Verstösse gegen die Presse– und Informationsfreiheit informiert, zeigt sich von den Entwicklungen in Ägypten alarmiert. Unter Präsident Abdel Fattah al-Sisi sei Ägypten zu einem der Länder mit den meisten inhaftierten Journalisten geworden. Konkret belegt Ägypten auf der Rangliste der Pressefreiheit weltweit von Reporter ohne Grenzen den 163. von 180 Plätzen. Viele der relevanten Nachrichtenmedien gehören direkt oder indirekt dem Staat. Wie der Jahresbericht von Human Rights Watch bestätigt, werden unzählige systemkritische JournalistInnen, mit der Begründung einer Terrororganisation anzugehören, verurteilt.

Der Angriff im November 2019 auf das renommierte Online-Nachrichtenportal Mada Masr wird von Reporter ohne Grenzen als äusserst besorgniserregend eingestuft und zeige, dass das ägyptische Regime auch keinen noch so kleinen Rest von Pressefreiheit dulde. Mada Masr berichtet auf Englisch und Arabisch und gilt in Ägypten als letztes unabhängiges Nachrichtenportal. Seit 2017 ist die Website von Mada Masr blockiert und nur noch vom Ausland aus zugänglich. Am 24. November 2019, einem Sonntagnachmittag, führten Sicherheitsbeamte eine Razzia in der Redaktion durch. Der Redakteur Sharif Abdel Kouddous berichtet in einem Interview gegenüber der Deutschen Welle, dass die Stimmung gegen- über Mada Masr schon seit dem 20. September immer feindlicher geworden wäre. Wenn man am Morgen das Haus verlassen habe, habe man nicht gewusst, ob man am Abend wieder zurückkehre. Am Tag der Razzia seien Sicherheitsbeamte gewaltsam in die Redaktion eingedrungen. Alle Handys und Laptops der Mitarbeiter seien konfisziert und die Mitarbeiter in einen Raum gepfercht worden. Mit dem Gesicht zur Wand stehend wurden sie angewiesen, nicht miteinander zu sprechen. Danach folgten lange Befragungen vor allem mit der Chefredakteurin Lina Attalah, die am späten Nachmittag gemeinsam mit zwei anderen Mitarbeitern verhaftet wurde. Für die anderen Mitarbeiter sei dies ein schrecklicher Moment gewesen. Keiner habe gewusst, was mit ihnen geschehen werde. Schon in der Nacht auf Samstag wurde der Redakteur Schadi Salat in seiner Wohnung festgenommen. Am Sonntagabend wurden vermutlich aufgrund internationalen Drucks durch verschiedenste Zeitungen alle wieder freigelassen. Doch der Schock und das Unverständnis gegenüber der ägyptischen Regierung bleibt. Über den Auslöser der Razzia kann nur spekuliert werden. Es wird vermutet, dass es ein kritischer Artikel über Präsident al-Sisis Sohn gewesen sein könnte.

Aktuelle Artikel

...
Mehr Artikel
laden