Auf der Suche nach Dir selbst

Immer mehr vorwiegend junge Menschen werkeln heutzutage an ihrem virtuellen Image

Doch woher kommt dieser, schon fast zwanghafte unbewusste Drang, sein physisches Wesen seinem aus Bits und Bytes bestehenden Bruder unterzuordnen? Expression folgt Impression – zumindest in der Geschichte der Malerei. Aber wie kann man Malerei mit der Psyche und dem Verhalten des Menschen vergleichen?

Wie beim jungen Eisbären, der das Jagen erst erlernen muss, ist auch sich selbst gegenüber kritisch zu denken nicht eine angeborene Fähigkeit und im Unterschied zum Jagen erst recht nicht eine angenehme. Folglich ist es naheliegend, dass viele vor einer solchen, meist unangenehmen Erfahrung, dessen Produkt oftmals Scham ist, zurückschrecken.

Man soll zuerst vor der eigenen Haustüre wischen heisst es. Wenn man aber nicht hinschaut, erscheint sie aber gleich viel sauberer und man musste nicht einmal putzen. Wie praktisch.

Und hier finden wir den Grund für den «Schmutz», der sich in unserem psychischen Haushalt angesammelt hat: Durch die Unterdrückung oder gar die Unfähigkeit, sein Selbst zu inspizieren und sich ein Bild – wie unscharf auch immer – von sich selbst zu machen, wird unser Geist dazu genötigt, zu anderen Mitteln zu greifen, um an besagtes, und in Folge seines Fehlens, falsches Bildmaterial zu gelangen.

Liebe Leserinnen und Leser, ich stelle vor: den Narzissmus.

Nun ist der Narzissmus alleine aber noch kein Unruhestifter. Wir alle tragen ihn in uns, er ist sogar für unser mentales Wohlergehen unentbehrlich. Gleichzeitig sind wir, oder besser, sollten wir mit unserer Vernunft, also der Einsicht und Hinterfragung unter anderem
unseres Handelns, einen ständigen, immerwährenden Kampf gegen ihn führen, denn sobald eine Seite verliert und die andere Überhand ergreift, verliert ein Teil von uns, verlieren wir einen Teil von uns und mit ihm einen Grossteil unserer, aus diesem Konflikt zwischen Vernunft und Trieb entstehenden Identität.

Aber wieso ziehen so viele Leute ihr Facebook-Ich ihrem
wahren Ich vor?

Die Antwort ist simpel: Es ist simpel. Wenn «Ich» mir auf Instagram nicht mehr passe, kann ich die Bilder mit zweieinhalb Clicks löschen und mit vier weiteren neue hochladen. Soziale Medien verleihen uns mit einem Touch eine künstliche Distanz zu uns, von der selbst der Dalai-Lama nur träumen kann. Sie gaukeln uns vor, dass Verstand und Narzissmus plötzlich Frieden geschlossen hätten und miteinander übereinstimmen.

Doch diese scheinbare reflexive Auseinandersetzung führt dazu, dass wir uns selbst in der Realität nicht wiederfinden. Wir erschaffen uns eine funkelnde Vergangenheit, haben uns aber in der Gegenwart verloren.

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