Das Wissen einer Generation

Über die Notwendigkeit des Wissen, über die wichtigsten Ereignisse der Vergangenheit und welche Rolle dabei die Schule spielt.

Jeden Tag stehe ich auf und gehe in die Schule. Dort höre ich zu und arbeite mit. Zu Hause lerne ich und mache meine Hausaufgaben. Für uns Schüler und Schülerinnen ist die Schule meist die Hauptbeschäftigung. Wir lernen, um gute Noten zu bekommen. Wir hören im Unterricht zu, um uns auf Tests vorzubereiten, damit wir wiederum gute Benotungen erhalten. Gute Noten sollen uns helfen, auf dem Arbeitsmarkt die bestmöglichen Chancen zu haben, damit wir schlussendlich einen guten Beruf ausüben können, mit dem wir uns alles leisten können, was wir für unser Leben brauchen. So kann man den Sinn einer Schulausbildung sehen. Aber die Schule sollte nicht nur da sein, um uns für potentielle Arbeitgeber möglichst interessant zu machen. Sie sollte uns auch helfen, unser Allgemeinwissen zu erweitern, damit wir die Entscheidungen, vor denen wir täglich stehen, möglichst schlau treffen. Schule dient also nicht nur der Wissensvermittlung, sondern auch dazu, Erfahrungen zu sammeln, fürs spätere Leben dazuzulernen und Kompromisse einzugehen. Kurz gesagt: In der Schule sollten wir für unser Leben lernen. Auf unseren Stundenplänen stehen viele verschiedene Fächer. Einige sind wichtiger für unsere Zukunft, andere weniger; das variiert von Person zu Person. Das Fach Geschichte soll uns beispielsweise Vergangenes näher bringen und verständlicher machen. Aber der Geschichtsunterricht hat nicht nur die Funktion, uns die Vergangenheit zu erhellen, er sollte auch helfen, dass sich dunkle historische Ereignisse nicht wiederholen. Soll man also mit Hilfe des Schulfaches Geschichte aus der Vergangenheit lernen, um in der Gegenwart die richtigen Schlüsse zu ziehen?

Die Anzahl an Unterrichtsstunden in Geschichte ist von Kanton zu Kanton und auch in den einzelnen Klassenstufen unterschiedlich. Meist sind es ca. zwei Lektionen pro Woche. Jetzt stellt sich die Frage, ob das ausreicht, um die Weltgeschichte abzuhandeln. Die Antwort lautet, dass es bereits unrealistisch ist, die allerwichtigsten Ereignisse der Vergangenheit im Unterricht zu besprechen. Die Zeit ist viel zu knapp. Deshalb beklagen sich viele Geschichtslehrpersonen, dass zwei Lektionen pro Woche schlichtweg zu wenig sind, um ihren Schülern und Schülerinnen die wichtigsten historischen Fakten zu vermitteln. Die Lehrpläne sind häufig überfüllt, somit können Themen meist nur gestreift, nicht eingehend behandelt werden. Oft reicht die Zeit nicht mal, um die eigene Nationalgeschichte genauer zu betrachten. Weil viele historische Begebenheiten nicht ausreichend beleuchtet werden, gelingt es den meisten Schülern nicht, wichtige Zusammenhänge zwischen den Ereignissen  zu begreifen. Ohne die Hintergründe zu kennen, kann man auch keine ernsthaften Diskussionen über den behandelten Stoff im Unterricht führen. Umso mehr man über ein Thema Bescheid weiss, desto besser kann man dieses kritisch betrachten. Denn man braucht Zeit, um komplexe geschichtliche Zusammenhänge zu erfassen und erst recht, um sie hinterfragen zu können. Und diese wertvolle Zeit fehlt bei ein bis zwei Unterrichtslektionen schlichtweg.

 

„Eine Generation, die die Geschichte ignoriert, hat keine Vergangenheit – und keine Zukunft.”

Dieses Zitat von Robert. A. Heinlein soll uns vor Augen führen, wie wichtig das Wissen über die eigene Vergangenheit ist. Vor allem momentan herrscht eine globale Instabilität und ein politischer Rechtsruck geht durch viele Länder. Der Populismus ist weit verbreitet, Flüchtlingsströme sind immer noch eine Herausforderung und auch der religiöse Terrorismus stellt ein grosses Problem für die Politik dar. Doch nicht nur die politischen Vertreter müssen sich mit diesen Schwierigkeiten auseinandersetzen und versuchen, deren Ursachen zu begreifen. Wir alle sollten über die Geschichte Bescheid wissen, denn nur mit einem gewissen Verständnis des Vergangenen kann man sich aktuelle Probleme erklären. Es fällt leichter, Gefahren zu erkennen, schlimme Ereignisse zu verhindern und die eigene Zukunft zu gestalten.

Die türkische Regierung rund um Erdogan hat den Lehrplan ihren Vorstellungen angepasst.
Bild: Pixabay

Um das Thema einmal aus einer anderen Perspektive zu beleuchten, habe ich mich mit meiner Geschichtslehrerin, Frau Grossenbacher, zusammengesetzt und sie zum Thema Geschichtsunterricht interviewt. Auf meine Frage, was Ihrer Meinung nach im Geschichtsunterricht nicht fehlen dürfte, antwortete sie, dass der Nationalsozialismus, der Zweite Weltkrieg allgemein und Revolutionen sehr wichtige Themen wären, an denen die Schüler und Schülerinnen meist auch stark interessiert sind. Ausserdem ist Frau Grossenbacher der Meinung, dass man aus jeder Epoche etwas exemplarisch im Unterricht anschauen sollte. Den Lehrplan an sich beurteilt sie als ausgewogen und sie hat den Eindruck, dass die Schüler und Schülerinnen am Ende ihrer Schulkarriere über ausreichendes Wissen über die Vergangenheit verfügen. Frau Grossenbacher hofft, dass ihre Schüler nicht nur Fakten aus dem Unterricht mitnehmen, sondern auch die Fähigkeit, Zusammenhänge zwischen geschichtlichen Ereignissen herstellen und Gelerntes auf aktuelle Ereignisse übertragen zu können.Allerdings blickt sie etwas skeptisch in die Zukunft, weil das Fach Geschichte im neuen Schulsystem mit Geografie zusammengelegt wird. Sie könnte sich jedoch auch vorstellen, dass die Schüler und Schülerinnen dadurch
neue Fähigkeiten erwerben könnten. Sicher ist sie sich nicht, ob der Geschichtsunterricht wirklich hilft, dass sich dunkle Ereignisse aus der Vergangenheit, wie zum Beispiel die Taten der Nationalsozialisten, nicht trotzdem in ähnlicher Form erneut abspielen könnten, weil diese teils aufgrund sehr komplexer Mechanismen zustande kommen.

Fakt ist, dass wir Geschichte, die uns in der Schule unterrichtet wird, nicht selbst erlebt haben. Wir waren nicht dabei und wissen somit auch nie genau, was sich in dieser Zeit wirklich abgespielt hat. Unsere Lehrpersonen richten sich zwar nach dem Lehrplan, unterrichten jedoch alle auf individuelle Art und geben uns nur weiter, was sie wichtig finden. Somit können sie beeinflussen, was eine ganze Generation von ihrer Vergangenheit weiss und auch zum Teil, wie sie darüber urteilt. Müssen wir also darauf vertrauen, dass Lehrpersonen das Wichtigste aus der Vergangenheit herauspicken und uns dies möglichst gut übermitteln? Klappt das? Nicht überall – denn es gibt auch Länder, in denen Lehrpläne geändert werden, um damit spezielle Interessen der Regierung zu verfolgen. Am Beispiel der Türkei kann man dies gut nachvollziehen. Die Evolutionstheorie wurde komplett aus dem Lehrplan gestrichen. Kritiker befürchten, dass Erdogan die Bevölkerung auch auf diese Weise beeinflussen will, um die Türkei wieder zu einer grossen muslimischen Nation zu machen. Die Regierung verfolgt hier mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Ziel und versucht, dieses anhand von Manipulation des Wissens oder Unwissens der jungen Bevölkerung zu erreichen. Leider gelingt dies auch nicht allzu schlecht, denn schon jetzt zweifeln 70% der türkischen Bevölkerung an der Evolutionstheorie von Darwin. Das zeigt, dass die Regierung schon früher das Vorkommen der Evolutionstheorie abgelehnt hat. Es wurden Lehrer abgemahnt, die ihren Schülern die Evolutionstheorie schon in der 5. Klasse näher bringen wollten. Es ist also nicht nur wichtig, wie stark das Fach Geschichte im Stundenpensum vertreten ist, sondern auch, wie es unterrichtet wird und dass unverzichtbare Themen nicht einfach so aus dem Lehrplan genommen werden können. Kurz gesagt: Geschichtliche Bildung ist sehr essentiell und sollte auf keinen Fall zu kurz kommen. Doch auch das lückenloseste Wissen über die Vergangenheit kann die Zukunft der Menschen nicht unbedingt in die richtige Bahn lenken. Am Ende des Tages bestimmen unser Handeln und unsere Entscheidungen die Zukunft – diese Tatsache sollten wir uns öfter vor Augen führen

Diskussionen im Geschichtsunterricht sind nur mit vorhandenem Grundwissen sinnvoll.
Bild: Pixabay

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