Der Bundesrat der Schweiz (Stand Mai 2019)

Die direkte Demokratie der Schweiz unter dem Brennglas

Die direkte Demokratie. Der Inbegriff der vollen Mitbestimmung. Das Beste, was die Demokratie zu bieten hat. Alle dürfen mitreden. Niemand steht über dem anderen.

So in etwa werden vermutlich die meisten die direkte Demokratie beschreiben. Ich wohne in der Schweiz, dem Land mit der längsten Tradition der direkten Demokratie und wollte mir diese etwas genauer anschauen. Doch zunächst müssen wir uns einen Überblick über die Funktionsweise der direkten Demokratie der Schweiz verschaffen.

Das politische System ist in der Schweiz ohnehin schon komplizierter als in den meisten anderen Staaten. Das liegt an einer Eigenheit der Schweiz, dem sogenannten Konkordanzsystem, welches besagt, dass die drei grössten Parteien der Bundesversammlung (dem Schweizer Parlament) jeweils zwei Bundesräte stellen und die viertgrösste Partei jeweils einen. Im Moment sind dies Simonetta Sommaruga und Alain Berset von der SP (Sozialdemokratische Partei), Ignazio Cassis und Karin Keller-Suter von der FDP (Freisinnig-Demokratische Partei), Ueli Maurer und Guy Parmelin von der SVP (Schweizer Volkspartei) und Viola Amherd von der CVP (Christlich- Demokratische Volkspartei). Dadurch sind die wichtigsten Parteien an der Regierung beteiligt und müssen, trotz gewaltiger Differenzen, irgendwie einen Konsens finden und diesen gemäss dem Kollegialitätsprinzip vertreten.

Die zweite Eigenheit der Schweizer Demokratie sind die Volksentscheide. Dabei muss man auf eidgenössischer Ebene zwischen zwei unterschiedlichen Typen des Volksentscheides unterscheiden: Zum einen gibt es Verfassungsänderungen, die in jedem Fall vor das Volk gebracht werden müssen. Zum anderen gibt es das fakultative Referendum, bei dem mit der Unterschrift von 50›000 Stimmberechtigten der Bundesrat gezwungen wird, eine Abstimmung über ein bereits beschlossenes Gesetz durchzuführen. Ausserdem gibt es die Volksinitiative, mit welcher Bürgerinnen und Bürger bei einer Unterschriftenanzahl von 100 000 Stimmberechtigten, das Wahlvolk über eigene Gesetze Verfassungsänderungen abstimmen lassen können. Abstimmungen finden je nachdem drei bis vier Mal im Jahr statt. Da die Schweiz föderal aufgebaut ist, gibt es in den verschiedenen Kantonen und Gemeinden am gleichen Datum auch Abstimmungen über regionale und lokale Fragen. Spannend ist, dass das Konkordanzsystem sehr auf Kompromisse aus ist, während die Volksentscheide grosse Teile der Bevölkerung gar nicht miteinbeziehen, wie wir noch sehen werden.

Was ziehen wir daraus für Schlüsse?

Nun hört sich das auf den ersten Blick ja gerecht und basisdemokratisch an. Bis man ein wenig tiefer gräbt. Wie oben bereits erwähnt, dürfen nur Stimmberechtigte Initiativen einreichen und darüber abstimmen. Wie gilt man als stimmberechtigt in der Schweiz? Man muss:

  • die Volljährigkeit erreicht haben,
  • die Schweizer Staatsangehörigkeit besitzen
  • urteilsfähig sein, d. h. nicht dauernd durch einen Vormund betreut werden.Vor allem der zweite Punkt hat es in sich. Denn: Der Ausländeranteil in der Schweiz ist so hoch wie fast nirgends sonst in Europa: Im Referenzjahr 2017 besassen über zwei Millionen der acht Millionen in der Schweiz lebenden Personen die Schweizer Staatsangehörigkeit nicht. Denn um diese zu erhalten, muss die betreffende Person zwölf Jahre in derselben Gemeinde der Schweiz wohnhaft gewesen sein. Hat die Person nicht immer in derselben Gemeinde gelebt, verlängert sich die Frist. Damit beginnt der bürokratische Trubel aber erst richtig. Denn die Gebühr für die Beantragung des schweizerischen Bürgerrechts beläuft sich auf nicht weniger als 1000 Franken. Das ist trotz des Klischees der reichen Schweiz nicht wenig und für viele eine entscheidende Hemmschwelle.

    Also ist es einem Viertel der – von den Abstimmungsresultaten gleich betroffenen – Bevölkerung nicht erlaubt, an eben diesen Abstimmungen teilzunehmen. Bleiben noch gut drei Viertel. Da die Wahlbeteiligung durchschnittlich zwischen 45-50% liegt, kann man von diesen 75% die Hälfte abziehen. Wenn dann ein Abstimmungsergebnis besonders knapp ausfällt, mit vielleicht 51% Ja- Stimmen zu 49% Nein-Stimmen, wie bei der Masseneinwanderungsinitiative 2015, dann haben ca. 15% über den Rest der Bevölkerung entschieden. Drastischer ausgedrückt: 85% der Bevölkerung haben diesen Entscheid nicht mitgetragen und ein Viertel davon hatten noch nicht mal die Möglichkeit darüber abzustimmen. Hat das noch etwas mit Demokratie zu tun?

    Die andere grosse Frage ist, ob man der Stimmbevölkerung überhaupt nationaler oder gar internationaler Ebene zumuten kann. Da die Bevölkerung durch angstmacherische oder andersweitig reisserische Plakatkampagnen leicht zu beeinflussen ist, ist die Gefahr einer Manipulation hoch. Ziehen diese Faktoren nicht automatisch die Frage mit sich, ob es nicht besser wäre, wenn nur jene Leute politische Entscheide fällten, die sich mit den entsprechenden Themen eingehend auseinandergesetzt haben?

    Selbst Platon im antiken Griechenland hat die Gefahr von gefährlichen Entscheidungen durch Unwissen erkannt und vertritt deshalb in seinem Dialog Politeia die Auffassung, dass der Staat nur von Philosophen regiert werden dürfte, die sich intensiv mit politischen Themen auseinandersetzen und somit eine gerechtere Entscheidung fällen können. Vielleicht können wir von etwas von ihm lernen.

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