Illustration: Srdjan Paravec

“Die hütigi Jugend”

Teenager aus der Sicht eines Teenagers

Kleine Vorwarnung: Dieser Text beinhaltet u.a. persönliche Erfahrungen und Meinungen. Zudem kann ich nur die mir und meinem Umfeld bekannte Seite des Themas darstellen, daher sind die folgenden Aussagen nicht als Fakten oder allgemeingültig zu verstehen. Ausserdem möchte ich noch vor folgenden Triggern warnen: Körperbilder, Essstörungen, Depressionen, Alkohol, Drogen, Selbstverletzung.

Im Fernsehen werden Teenager als launisch, explosiv und faul dargestellt. Nach aussen mag dies vielleicht auch so wirken, doch es steckt sehr viel mehr dahinter. 

Als Kind schien alles einfach. Die Schule machte Spass, mithilfe von Playmobil wurden ganze Welten geschaffen und weinte man, war nach einer Umarmung oder einem Schokoriegel alles wieder gut. Doch wie der Körper, begann der Geist und die Art und Weise, wie man die Welt sieht, sich zu verändern. 

Es ist keine Frage, dass das Internet eine grossartige Erfindung ist. Massenhaft Wissen von vor 200 Millionen Jahren bis jetzt steht uns jederzeit zur Verfügung, Bewegungen wie #BlackLivesMatter oder die Klimastreiks erreichten eine riesige Anhängerschaft und noch nie war die Welt sich so seiner Belange bewusst. 

Doch es gibt auch Schattenseiten… Instagram, YouTube und Co. zeigen uns eine perfekte und retuschierte Welt mit makellosen Körpern, grossen Karrieren und Menschen, «die ihr Leben im Griff haben». Von überall her erreichen uns Informationen, wie wir auszusehen haben, wie wir uns ernähren sollen, welche Kleider im Trend sind, was richtig und falsch ist. Man wächst mit dem Gedanken auf, dass man, nur wenn man an diese Standards herankommt, glücklich und von anderen anerkannt wird. 

Ebendiese Apps wurden so konstruiert, dass möglichst viel Zeit darauf verbracht wird und wir werden dazu verleitet, einen ganzen Tag am Handy zu verbringen. Alles wonach wir uns sehnen, birgt es in irgendeiner Form und wir entwickeln eine so hohe Toleranz gegenüber jeglichen Aktivitäten, die nicht auf dem Handy stattfinden, dass die eigene Realität anfängt langweilig und wertlos zu erscheinen. Die Art wie man sich und sein Leben sieht, verändert sich und die Erwartungen steigen.

 

Schönheit spielt eine grosse Rolle in unserer Gesellschaft, vor allem in der oberflächlichen Welt der Social Media. Sie verspricht mehr Chancen auf beruflichen Erfolg, soziale Anerkennung und sexuelle Anziehung auf andere.

Jeden Tag tauchen dabei neue Dinge auf, die angeblich an einem falsch sind und Tipps, wie man sie loswerden kann. Mit der Zeit entwickelt sich daraus die Illusion, dass man nur schön und somit «wertvoll» ist, wenn man diesen Vorgaben entspricht.

Besitzt man keine grossen Brüste, befinden sich Pickel auf der Stirn oder zeichnet sich auf dem Bauch kein Six-Pack ab, sinkt das Selbstwertgefühl. Man beginnt immer mehr an sich zu kritisieren und gleichzeitig versucht man alles, um diesen Idealen zu entsprechen. Daraus entsteht ein Teufelskreis und mit der Zeit regieren diese kleinen Unsicherheiten das ganze Leben. Man verbietet sich Essen, treibt jeden Tag Sport, gibt hunderte von Franken für Produkte aus, die einen angeblich schöner machen sollten; und doch steht man abends vor dem Spiegel und hasst, was man sieht.

Auf diesen Kreislauf folgt nicht selten unter anderem eine gestörte Wahrnehmung des eigenen Körpers oder eine Essstörung, wie zum Beispiel Anorexie, Bulimie oder «Binge Eating», auch genannt Esssucht. 

Der Druck, sein zu wollen wie andere, beschränkt sich jedoch nicht nur auf den Körper, doch kann sich auf das ganze Leben ausweiten. Alle ausser man selbst scheinen «das Leben im Griff zu haben». Gute Noten in der Schule, jeden Tag Sport treiben, abends mit Freunden coole Dinge unternehmen, am Wochenende den Lebensgefährten besuchen und das alles mit einem Lächeln auf dem makellosen Gesicht. 

Die vielen Stunden, die diese Menschen lernen, den Streit mit dem Partner, weil sie zu viel Zeit mit den Freunden verbringen oder die gelegentlichen Tränen abends im Bett sieht man jedoch nicht. Dadurch bildet sich einen enormen Druck, dieser Illusion vom perfekten Leben zu entsprechen.

Oft wird dies noch verstärkt, wenn die Eltern, Lehrer oder Freunde von einem das gleiche erwarten. Sind nicht alle Noten im Zeugnis eine 5, kann man sich beruflichen Erfolg abschminken. Besucht man keine Raves oder Partys gilt man als langweilig. Dadurch steht man oft vor einer Entscheidung: lerne ich, um Arzt zu werden, so wie meine Eltern es möchten oder gehe ich mit meinen Freunden aus, um nichts zu verpassen? Es fühlt sich an, als ob man es niemandem Recht machen kann. Allen voran sich selbst, denn mit der Zeit hat man vergessen, was man selber will. 

Aufgrund von all diesen Gefühlen tendiert man schnell dazu, sich in Isolation zu begeben und diese wird zur Einsamkeit. Da ausserdem die harte Arbeit oft keine Befriedigung bringt, schlägt dies in Lustlosigkeit um und das Leben beginnt sinnlos zu wirken. Es erscheint einfacher, den ganzen Tag im Bett zu liegen und Serien zu schauen, als sich der Aussenwelt zu stellen und wenn dies eine Gewohnheit wird, kann daraus gegebenenfalls eine Depression entstehen.

Obwohl viele äussere Umstände einen beeinflussen, ist die grösste Last auf den Schultern immer noch der Druck, den man sich selbst macht. Zudem wirbeln täglich um die 70 000 Gedanken im Kopf herum und dem Druck schliessen sich Ängste, Wut, Unsicherheiten und so weiter an. Da sich während der Pubertät Nervenstränge im Hirn neu vernetzen, fühlen sich diese Gedanken manchmal dementsprechend verwirrend an und aus 70 000 scheinen Millionen zu werden. 

Gefühle ändern sich innert Sekunden und wo man in einem Moment lachte, wird man im anderen plötzlich wütend, ohne überhaupt zu wissen warum. In ruhigen Momenten, beispielsweise abends im Bett, können diese Stimmungsschwankungen und Grübeleien sehr schnell überwältigend werden und manchmal fühlt es sich an, als würde man in den eigenen Gedanken ertrinken.

Dieser Druck von allen Seiten und das Chaos im Kopf muss irgendwo raus. Alkohol oder ein Joint geben einem für einen Moment eine Verschnaufpause und ein Gefühl von Leichtigkeit. Die Sorgen treten in den Hintergrund und die Welt erscheint wieder so unkompliziert und lustig wie früher. 

Auch Selbstverletzung ist ein nicht selten angewandtes Ventil. Die Glückshormone, die durch eine Verletzung ausgeschüttet werden, nehmen für ein paar Minuten die Last von den Schultern. Danach verspürt man jedoch umso mehr Reue, Scham oder Wut und der Kreislauf fängt wieder von vorne an. 

Dies kann sich auch in Form einer Essstörung zeigen. Indem man extrem viel oder sehr wenig isst, werden die schlechten Gefühle für eine kurze Zeit auch befriedigt.

Natürlich ist jedem bewusst, dass diese Verhaltensweisen nicht gesund sind, doch psychische Probleme sind leider immer noch ein grosses Tabuthema in unserer Gesellschaft und deshalb ist es einfacher, auf solche Methoden zurückzugreifen, als tatsächlich darüber zu sprechen, geschweige denn, sich professionelle Hilfe zu holen. 

Die vielen negativen Erfahrungen können trotzdem nicht die aufregende und tolle Zeit, die die Teenagerjahre sind, überschatten. Zu sein und lieben wer man will, sich in Form von Kleidern, Make-Up, usw. auszudrücken oder eine Karriere anzustreben, die man liebt, war noch nie so einfach wie heute. Akzeptanz und Respekt untereinander wächst immer mehr und innerhalb der Freundesgruppe bestehen kaum Geheimnisse oder Tabuthemen. 

Es ist die freieste Phase des Lebens. Man muss keine Versicherungen oder Rechnungen bezahlen, hat kaum Verantwortung für jemand anderen und es stehen einem unglaublich viel Zeit und Möglichkeiten zur Verfügung, um zu tun und lassen was man will.

Am Ende dreht sich die Pubertät immer um das Gleiche. Wer bin ich? Wer will ich sein? Was macht mich glücklich? Man liebt, schreit, lacht und weint. Oft hat man das Gefühl, dass keiner einen versteht, doch schliesslich ist oder war jeder mal ein Teenager. Als Angehörige ist es wichtig, während dieser Zeit miteinander zu sprechen, einander zuzuhören und die Wünsche und Meinungen des anderen zu respektieren. 

Hilfe

Telefonnummern

Sanität: +41 144

Sorgentelefon: +41 147

Dargebotene Hand: +41 143

LGBTQ+ Helpline: +41 0800 133 133

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