Drei Frauen, drei verschiedene Freiheiten

Was ist Unabhängigkeit für dich? Wann hast du dich das erste Mal unabhängig gefühlt? Gehört Unabhängigkeit zur Freiheit dazu? Diese und mehr Fragen wurden drei Frauen gestellt, welche von ihren Interpretationen der Freiheit erzählen.

«Ich bin meine einzige Verantwortung und das ist wunderbar.»

Käthi lebt in ihrem selbst renovierten Haus in einem Dorf im Baselbiet, wo sie selbst ihren Garten mit diversen Früchten und Gemüse bepflanzt. Aufgewachsen ist sie im Laufental und ist später für eine KV-Lehre nach Basel gekommen. Sie war lange Hausfrau und sorgte für die Kindsbetreuung, bis sie dann nach 12 Jahren als Nähmaschinen-Instruktorin wieder in die Berufswelt einstieg. Bis zur Pension mit 62 arbeitete sie bei verschiedenen Krankenkassen. Nun geniesst Käthi seit 17 Jahren ihre Pension in vollen Zügen und füllt ihre Tage mit Sport, Gartenarbeit, Näharbeiten und vielem mehr.

«Ich war immer unabhängig, aber das habe ich auch mit Verantwortung genutzt.»

Rita wurde in Brasilien geboren und ging dann für ihr Studium nach London. Doch die Liebe führte sie in die Schweiz, wo sie auch 1989 heiratete. Sie brach ihr Jurastudium ab und machte in der Schweiz eine Lehre zur Kauffrau. Nun sind ihre Kinder erwachsen und sie arbeitet in einer Tagesstruktur. In der Freizeit liest Rita viel, vor allem Biografien wie die der «Powerfrau» Marie Curie.

«In einem Land ohne Gleichberechtigung ist es schwer unabhängig zu sein, als Frau.»

Hadisa lebte bis 2016 in Afghanistan, allerdings flüchtete sie aber mit ihrer Familie aufgrund des Krieges. Jetzt lebt sie mit ihren vier Schwestern und zwei Brüdern in Basel. Zuerst besuchte sie ein Gymnasium, aber entschied sich dann für eine Lehre als Pharmaassistentin.

Was ist Unabhängigkeit für dich? Wie würdest du Unabhängigkeit für dich definieren?

Rita:  Das Wort sagt es schon, nicht abhängig zu sein. Ich denke wir können auf drei Ebenen abhängig sein, physisch, psychisch und finanziell. Wenn man auf allen drei Ebenen machen kann, was man selbst will, ist man wirklich unabhängig. Das ist für mich Unabhängigkeit, wobei all das auch Freiheit ist. Die beiden Begriffe gehören für mich zusammen, sind aber nicht identisch.

Käthi: Nicht abhängig zu sein. Aber heute ist das ein Riesenwort. Jeder «Quatsch», den du dir anschaffst, schafft Abhängigkeit. Du bist von allem abhängig, je weniger unnötigen Last du hast, desto unabhängiger kannst du sein. Das beginnt bei kleinen Sachen, wie bei den eigenen Konsumgewohnheiten. Das heisst, man kauft sich nur das, was man sich auch leisten kann. Geld auszuleihen ist eine grosse Abhängigkeit. Unabhängigkeit schafft auch, wenn man sich selbst ein Brot backen kann, statt dass man zum Bäcker muss. All solche Kleinigkeiten, die man selbst machen kann, schaffen eine kleine Unabhängigkeit. Auch habe ich immer, auch wenn nur ein kleines, finanzielles Polster gehabt. Das hat mir ein gutes Gefühl gegeben, auch eine Art Unabhängigkeit.

Hadisa: Wenn ich Sachen selbst bestimmen darf, meine eigene Meinung vertreten darf und selbstständig leben kann. In vielen Ländern leben Frauen fast wie Sklaven, die von ihren Männern bestimmt werden. Sie dürfen nicht in die Schule gehen oder studieren und dürfen ihre eigene Meinung nicht vertreten. Sie sind alle genau das Gegenteil von unabhängig. Ich darf und kann das machen, was ich will und auch dazu stehen.

Wann hast du dich das erste Mal unabhängig gefühlt?

Käthi: Ich weiss nicht, ob ich mich jemals ganz unabhängig gefühlt habe, aber eine gewisse Freiheit schon. Wahrscheinlich als ich in den Landdienst gegangen bin. Zur grosser Überraschung habe ich nach meiner Zeit dort Geld bekommen. Mit diesem Geld hatte ich dann eine gewisse Unabhängigkeit. Und auch als ich mit 28 zum ersten Mal richtiges Geld verdiente, bei meinem Job als Instruktorin. Und durch meine eigene Arbeit, das war ein gutes Gefühl.

Rita:  Ausser finanziell war ich immer unabhängig, aber das habe ich auch mit Verantwortung genutzt.  Ich war zwar von meinen Eltern abhängig, aber sie waren immer so super und haben mich immer unterstützt. Auch als ich mein Studium aufgegeben habe oder in ein fremdes Land gezogen bin, in dem ich nie länger als 6 Wochen war.

Hadisa: Das war vor ungefähr 4 Jahren, als ich neu in die Schweiz gekommen bin. Meine Eltern und zwei von meinen Schwestern waren noch in Griechenland, ich bin mit meiner älteren Schwester schon in die Schweiz geflogen. Anfangs waren wir zusammen in einer Flüchtlingsgruppe und dort habe ich zum ersten Mal selbst gekocht. Zuhause habe ich nie etwas gekocht, das hat immer meine Mutter gemacht. Ich war stolz, dass ich das konnte.

Wie können junge Erwachsene unabhängig sein? Geht das?

Käthi: Kann man nicht, niemand kann vollkommen unabhängig sein. Wir sind von so vielem abhängig, von Strom, Wasser und und und. Aber im kleinen Rahmen kann man unabhängig sein, auch in jungen Jahren.

Rita:  Ich hatte das Glück in einem Land und zu einer Zeit zur Welt zu kommen, wo das möglich ist. Ich durfte ziemlich alles machen, was ich wollte und meine Eltern unterstützen mich. Aber ich habe diese Freiheit auch immer mit Verantwortung wahrgenommen. Zu einer anderen Zeit oder in einem anderen Land hätte ich nie als Frau so früh schon unabhängig sein können. Ich durfte entscheiden, ob im kleinen oder grossen Rahmen. Finanziell war ich natürlich nicht unabhängig, aber das habe ich auch nicht vermisst, das ist völlig normal. Ich habe das auch bei meinen Kindern gesehen, unabhängig zu werden braucht Zeit und die haben wir ihnen auch gegeben.

Hadisa: Es ist schwierig, wir können langsam Richtung Unabhängigkeit gehen. Das Geld, dass ich selbst verdiene, gibt mir mehr Unabhängigkeit und ich fühle mich so auch selbstständiger. In der Schweiz ist das aber sehr schwierig, vor allem finanziell, durch Krankenkasse, Miete, Versicherung usw.. In Afghanistan hat man viel weniger Kosten, was es theoretisch einfacher macht, unabhängig zu werden, aber gesellschaftlich ist es schwieriger, vor allem als Frau.

Wie hat sich deine persönliche Unabhängigkeit im Verlauf deines Lebens verändert?

Käthi: Vielleicht, dass ich mit mehr Lebenserfahrung vieles anders gewichten konnte und das schafft Freiheit. Halt eben, dass nicht alles in meiner Abhängigkeit ist, vieles habe ich gelernt zu relativieren im Alter. So tragisch es auch ist, den Partner zu verlieren, so wunderbar ist es, etwas unabhängiger zu sein. Ich muss nicht mehr seine Socken waschen, Hemden bügeln und pünktlich Kochen. Ich bin nur für mich selbst verantwortlich und das ist wunderschön.

Rita:  Wie gesagt haben meine Eltern mich immer unterstützt und später dann mein Ehemann, so konnte ich mich immer frei und unabhängig fühlen. Nur als ich neu in die Schweiz kam, fühlte ich mich abhängig von meinem Mann, da ich die Sprache nicht beherrschte. Seine Familie und er sprechen alle auch Portugiesisch, was es mir schwerer machte, die Sprache zu lernen. Zu dieser Zeit fühlte ich mich schon etwas eingeschränkt und abhängig, aber das änderte sich, als ich besser Deutsch konnte.

Hadisa: Die Sprache machte es mir sehr schwer in der Schweiz, mich unabhängig zu fühlen. Ich war immer abhängig von Dolmetschern. Das war mühsam, weil ich immer jemand brauchte. Auch seit ich volljährig bin, kann ich jetzt wirklich selbst entscheiden, was ich will oder nicht will.

 

Gehört Unabhängigkeit zur Freiheit dazu?

Rita:  Ja, auf jeden Fall. Man kann die zwei Begriffe aber auch trennen. Zum Beispiel ist jemand der gelähmt ist vom Rollstuhl abhängig, aber trotzdem kann er frei sein und selbst seine Entscheidungen treffen. Aber oft hängen sie zusammen. Du bist nicht frei, wenn du von jemandem abhängig bist, denke ich. Ich bin froh, dass ich beides bin.

Käthi: Ja, eindeutig. Unabhängig zu sein ist Freiheit und Freiheit ist, unabhängig zu sein. Das ist ganz klar.

Hadisa: Doch die hängen schon zusammen. In Afghanistan spielt der Stand der Familie und der Ort, in dem man aufwächst, eine extrem grosse Rolle, was die Bildung angeht für Frauen. Zum Glück hat sich dort in den letzten 15 Jahren viel geändert, aber das kann sich durch die aktuelle Lage wieder ändern. In einem Land ohne Gleichberechtigung ist es schwer unabhängig zu sein, als Frau. Auch durch den Krieg wird die eigene Freiheit stark eingeschränkt.

Jede dieser Frauen versteht unter dem Begriff Unabhängigkeit etwas anderes. Trotzdem ist es allen drei Frauen aus unterschiedlichen Generationen, Kulturen und Geschichten wichtig, unabhängig zu sein. Ein eigenständiges und selbstbestimmtes Leben zu führen, das für sie persönlich erfüllend ist. Ich habe mir selbst bei der Recherche Gedanken zu meiner Unabhängigkeit und Freiheit gemacht. Bin ich unabhängig? Treffe ich freie Entscheidungen? Nein, aber ich erstrebe es, in Zukunft etwas unabhängiger zu sein. Von anderen Menschen, Konsumgütern, meinen Eltern und vielem mehr. Bist du unabhängig? Triffst du Entscheidungen frei von den Meinungen anderer? Möchtest du das? Wie wichtig ist dir Unabhängigkeit?

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