Illustration: Hannah Oehry

Eine Chance für alle

Am 13. Dezember 2002 wurde das Behindertengleichstellungsgesetz BehiG verabschiedet. Es sagt vor, Benach- teiligungen zu verhindern, zu verringern oder zu beseitigen, denen Menschen mit Behinderungen ausgesetzt waren. Man musste einiges umdenken. Vieles im öffentlichen Raum musste angepasst werden, wie zum Beispiel der öffentliche Verkehr, Trottoirs oder auch Gebäude. Kurz: Das BehiG sollte Menschen mit Behinderungen er- leichtern, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, soziale Kontakte zu pflegen und ihnen ermöglichen, sich gut aus- und weiterbilden zu können. Deshalb versuchte die Schweiz nicht nur den sozialen Aspekt gerechter zu gestalten, sondern auch das Bildungssystem.

Die Anfänge der schulischen Integration

Chancengleichheit fängt bei der Bildung an. Die Schweizer Regierung und viele Bürger waren also auch der Meinung, dass Kinder und Jugendliche mit einer geistigen oder körperlichen Behinderung die gleiche Schule wie Regelschüler besuchen und sogar in eine gemeinsame Klasse gehen sollten. Alle Kinder und Jugendliche sollten eine gemeinsame Bildung erhalten. Wichtig bei dieser Entscheidung war dabei vor allem die soziale Komponente. Kinder mit einer geistigen Behinderung sollten nicht mehr „isoliert“ werden und auch Kinder ohne eine Behinderung würden mehr mit geistig behinderten Menschen zu tun haben, was ihre sozialen Kompetenzen verbessern könnte. Diese schulische Integration wurde langsam umgesetzt. Zuerst wurden nur einzeln Kinder und Jugendliche mit einer Behinderung in Regelklassen integriert, allen voran Jugendliche mit Downsyndrom, welche als erste einzeln in Basel-Stadt in Regelklassen integriert wurden.

Eine gute Entscheidung

Schnell merkten viele Lehrer und Heilpädagogen, dass die Integration von Menschen mit geistiger Behinderung vor allem in der Primarschule und in der Orientierungsschule gut klappte. Es wurden immer mehr Kinder gruppenweise integriert.

Doch nicht alle Regelklassen waren „integrationsgerecht“. Viele Kinder und Jugendliche mit einer Behinderung wurden nicht mehr in eine Sonderschule geschickt, sondern in „normale“ Schulen integriert. Natürlich konnten sie leistungsmässig nicht mit den Regelschülern mithalten. Das war aber auch gar nie das Ziel, nur der soziale Aspekt.

Die andere Möglichkeit

Doch auch die schulische Integration ist nicht perfekt. Vor allem wenn die Kinder älter werden, wird die soziale Integration erschwert. Die Jugendlichen orientieren sich neu, Grüppchen bilden sich. Viele Jugendliche ohne Behinderung können sich nicht mehr mit Jugendlichen mit einer Behinderung identifizieren. Aber auch umgekehrt sieht es ähnlich aus, die Kinder haben nur noch wenige gemeinsame Interessen. Wo früher alle Kinder Fangis oder Verstecken spielen wollten, interessieren sich manche Jugendliche für das eine, andere für das andere.

Auch wenn es nicht immer absichtlich ist, werden Jugendliche mit einer geistigen Behinderung nach der Primarschule in integrativen Klassen immer mehr alleine gelassen. 

Je älter die Kinder werden, desto schwieriger wird es, die soziale Komponente nicht zu verlieren.

Während ihrer Jugend werden manche Kinder auch immer verhaltens- auffälliger und passen nicht mehr in das schweizerische Integrationsgerüst. Sie zeigen ein schwieriges Verhalten, sind sozial extrem beeinflussbar oder haben Angst vor grossen Gruppen.

Um diesen Jugendlichen trotzdem Bildung und soziale Kontakte zu ermöglichen, gibt es die schulische Separation. Hier werden die Schüler schulisch und sozial in Kleingruppen begleitet. Letzteres kann zugleich als Vor- und als Nachteil gesehen werden. Einerseits geht die Idee der sozialen Integration verloren, da die Schüler mit einer Behinderung separat, das heisst mehr oder weniger einzeln geschult werden. Andererseits ist die Separation aber auch die bessere Lösung für manche Kinder und Jugendliche, da sie sich so besser zuordnen und somit auch glücklich werden können.

Das eigentliche Problem ist, dass diese Unterstützung nicht für immer hält. Denn die Schüler besuchen nicht für immer eine Klasse oder eine Schule, sondern müssen irgendwann in die Arbeitswelt übertreten. Dies kann oft nur mit sehr grosser Anstrengung geschehen. Oft ist es für Jugendliche mit Behinderung sehr schwer, sich in der Arbeitswelt zu orientieren, etwas zu finden, worin sie gut sind und was ihnen auch Spass macht. Und es wird immer schwieriger. Einfache Nischenarbeitsplätze werden immer mehr von Maschinen übernommen und auch der Schwierigkeitsgrad einer Lehre steigt kontinuierlich. Zwischen Schule und Arbeitsplatz herrscht oft eine grosse Lücke in Sachen Integration. Das Problem ist, dass das System erwartet, dass man bei der Arbeit 100% und mehr gibt. Diese 100% sind aber nicht an die jeweilige Person angepasst, sondern übergreifend. Da viele Menschen mit einer Behinderung nicht mithalten können, landen sie oft im zweiten, also geschützten Arbeitsmarkt. Natürlich ist dies auf einer Seite gut, da sie dort in ihrem Tempo liefern können.

Aber kann man dabei noch von Integration und Gleichstellung sprechen?

Menschen müssen nicht gleich sein, aber sie sollten das gleiche dürfen. Das wird zwar schon fleissig versucht, doch unser System ermöglicht dies leider noch nicht komplett.

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