Eva Herzog, Ständerätin Basel-Stadt, Quelle: SP Basel-Stadt

“Es wird schon noch Tränen geben.”

Eva Herzog (SP) hat als Regierungsrätin 15 Jahre lang das Finanzdepartement Basel-Stadt geleitet und dabei regelmässig für schwarze Zahlen gesorgt. Nun kandidiert die Historikerin für den Ständerat, die kleinere Kammer des Parlaments, wo sie die einzige Vertreterin unseres Halbkantons wäre. Sie hat QUINT zu einem Gespräch eingeladen.

In einem schlichten Sitzungszimmer am Fischmarkt warte ich auf Eva Herzog. Fast pünktlich erscheint sie, ihr Händedruck ist fest, ihr Lächeln herzlich, die Stimmung ist locker, während Fotos gemacht werden. Sobald die erste Frage gestellt wird, ist sie voll fokussiert.

Viele junge Leute gehen nicht an die Urne: Was würden Sie tun, damit es zu einer höheren Wahl- und Stimmbeteiligung der Jugend kommt?

“Zwei Drittel der 18 – bis 24-Jährigen gingen 2015 nicht wählen, das ist wirklich sehr viel. Ich kenne aber auch politisch sehr interessierte Jugendliche. Ich glaube, das wichtigste ist, dass man das Engagement und die Interessen der jungen Leute ernst nimmt und darauf eingeht, deutlich macht, dass es wir alle sind, die die Gesellschaft gestalten. ” Das vieldiskutierte Schulfach Politik hält sie nicht für eine gute Idee: „Diese Inhalte gehören in den Geschichtsunterricht, besser würde man eine Stunde mehr Geschichte erteilen und politische Inhalte explizit pflegen und nachweisen.” Sie findet es sehr wichtig, dass Diskussionen über politische Themen geführt werden. Dabei sei es zweitrangig, ob man alle Bundesräte beim Namen nennen kann. „Das konnte ich früher auch nicht immer. Was ein Bundesrat genau macht, ist in diesem Alter ausserhalb des eigenen Wirkungskreises! Meiner Erfahrung nach kommt politisches Engagement von Sachthemen her. Heute ist es zum Beispiel die Klimajugend oder man gibt eine Schülerzeitung heraus, bei mir waren es damals die Dritte-Welt- Läden. Und parteipolitisch aktiv wurde ich nach der Nichtwahl von Christiane Brunner in den Bundesrat. Es gibt so Schlüsselereignisse.” Deshalb hat sie auch der Frauenstreik extrem begeistert: “Da waren so viele junge Frauen, die für ihre Rechte einstehen und die selber sagen, was sie wollen oder nicht. Das fand ich super.”

Ich glaube, das wichtigste ist, dass man das Engagement und die Interessen der jungen Leute ernst nimmt und darauf eingeht, deutlich macht, dass es wir alle sind, die die Gesellschaft gestalten.

Was wird denn der Frauenstreik auf politischer Ebene noch bewirken?

“Es ist Wahljahr. Auch bürgerliche Parteien fühlen sich heute verpflichtet, Frauen für politische Ämter aufzustellen. Die Mini-Frauenquote in den Verwaltungsräten im Rahmen der Aktienrechtsrevision wäre im Ständerat nicht durchgekommen ohne den Frauenstreik. Und der momentan diskutierte, zwar mickrige Vaterschaftsurlaub braucht den Frauenstreik ebenso. Man muss am Thema ständig dranbleiben, besonders bei der Lohngleichheit.”

Warum gibt es immer noch den unerklärten Lohnunterschied zwischen den Geschlechtern?

“Ich finde es beeindruckend, dass Sie sich heute schon damit auseinandersetzen, davon hatte ich in Ihrem Alter keine Ahnung, ich hätte mir nicht vorstellen können, dass es das gibt: Frauen und Männer tun dasselbe und werden dafür nicht gleich entlöhnt! Unglaublich finde ich,dass Frauen nicht nur nach einer familienbedingten Auszeit weniger verdienen, sondern dass in der Privatwirtschaft junge Frauen schon bei der Erstanstellung – vor der Familiengründung – bei gleicher Arbeit weniger verdienen als junge Männer. Man geht eben immer noch davon aus, dass eine Frau Kinder bekommt und ausfällt bzw. nur Teilzeit arbeitet.” Eine solche Diskriminierung könne nur bestehen, solange die Löhne intransparent bleiben, solange man nicht weiss, wieviel der Kollege verdient. “Nur bei Lohnklagen muss die Firma die Löhne ausweisen.” Ob man denn nicht eine Pflicht zur Lohntransparenz einführen könnte? “Ja, das könnte man gesetzlich vorschreiben. Aber es muss erst noch durchkommen.”

Apropos durchkommen: Wie muss die Klimapolitik gestaltet werden, damit sie sozial verträglich ist und von der Bevölkerung akzeptiert wird?

„Mit Lenkungsabgaben: Diese werden auf dem Verbrauch erhoben aber pro Kopf zurückerstattet. So kann man Umweltpolitik sozial verträglich gestalten. Bei tieferen Einkommen macht die Rückerstattung auch mehr aus. Fliegen ist heute zu billig. Es ist kein Grundbedürfnis, zum Beispiel jeden Monat nach London zum Einkaufen zu fliegen, darum darf das auch ruhig teurer sein.”

Es ist kein Grundbedürfnis, zum Beispiel jeden Monat nach London zum Einkaufen zu fliegen, darum darf das auch ruhig teurer sein.

Die Digitalisierung ist eine der grossen Herausforderungen der Zukunft. Wie muss darauf reagiert werden, damit die sozialen Folgen wie zunehmende Vermögensunterschiede und Jobverluste abgefedert werden können?

Die Digitalisierung ist schon da, ich würde sie weder dämonisieren noch verherrlichen. Wir sollten ihre Chancen nutzen, aber wir müssen die Menschen bei der Veränderung der Arbeitswelt begleiten. Bedroht sind Routinearbeiten, die relativ einfach von Maschinen übernommen werden können. Alte Jobs fallen weg, neue werden geschaffen. Im Dienstleistungssektor und in der Pflege wird es immer Menschen brauchen, angesichts der Alterung der Bevölkerung eher mehr als weniger. Entscheidend, um die Veränderungen zu bewältigen, ist Weiterbildung. Ich könnte mir die Einrichtung einer Weiterbildungsversicherung vorstellen, wo Arbeitgeber- und -nehmer einzahlen. Mit einer Verpflichtung zu regelmässiger Weiterbildung, beispielsweise alle fünf Jahre. Man darf nicht warten, bis die Leute den Job verlieren. Und es muss obligatorisch sein, damit alle es machen.

Wie soll sich die Schweiz international positionieren und wie wichtig ist internationale Zusammenarbeit für Sie?

In der humanitären Tradition der Schweiz ist eigentlich angelegt, dass sie sich international engagiert, für Frieden, für Beilegung von kriegerischen Konflikten – ihr guten Dienste anbietet. Das ist mir sehr wichtig. Die Schweiz soll in internationalen Gremien mitarbeiten, dort für ihre Interessen einstehen, wie jedes Land, und bereit sein, Kompromisse zu finden, im Bewusstsein, dass die Interessen der anderen Länder auch legitim sind. Wichtig ist mir das Primat der Politik vor den Interessen der Wirtschaft. In diesem Sinn begrüsse ich die Bestrebungen der OECD für eine gerechtere internationale Besteuerung. Allerdings muss man sagen, auch in der OECD geht es nicht nur um Gerechtigkeit, sondern auch um Machtpolitik, die grossen Länder haben mehr zu sagen als die kleinen. Da müssen wir uns wehren. Entscheidend für unser Land ist aber die Beziehung zu Europa. Wir müssen die bilateralen Verträge sichern und deshalb auch ein Rahmenabkommen mit der EU abschliessen.

Wie sehen Sie die Zukunft der Schweiz?

Die Schweiz ist gut für die Zukunft gewappnet: Wir haben eine sehr tiefe Verschuldung im Vergleich zu anderen Ländern. Wir haben die finanziellen Möglichkeiten, die nötigen Massnahmen gegen den Klimawandel zu ergreifen, und zwar ohne Sparprogramme, welche die Bevölkerung stark einschränken würden. Wir haben ein stabiles politisches System und es herrscht Rechtssicherheit. Wir sind ein innovatives Land, dass es uns aber als so kleines Land wirtschaftlich so gut geht, liegt an unseren wirtschaftlichen Beziehungen zu anderen Ländern, besonders zur EU, wo die Hälfte unserer Exporte hingeht. Wir sind wirtschaftlich auf Offenheit angewiesen, wir sollten es auch politisch sein. Wir sind nicht allein auf der Welt und sollten vorwärtsgehen, anstatt ein vorgestriges Schweizbild zu pflegen.

Wir sind wirtschaftlich auf Offenheit angewiesen, wir sollten es auch politisch sein.

Wenn Sie auf die 15 Jahren als Regierungsrätin zurückschauen: Was sind die wichtigsten Erfahrungen, die Sie mitnehmen?

Die wichtigsten Erfahrungen… (überlegt) Erstens hat es mir unheimlich gut gefallen. Es gibt immer wieder Stimmen, die sagen, man könne in der Politik überhaupt nichts bewegen, doch das stimmt meiner Meinung nach absolut nicht: Gerade als Exekutivpolitikerin trifft man täglich Entscheidungen, die einen konkreten Einfluss auf unsere Gesellschaft haben, grössere und kleinere Dinge. In meinem Geschichtsstudium habe ich gelernt, dass die Veränderungen einer Gesellschaft nicht einfach über einen kommen, sondern dass sie auf konkreten Entscheidungen von Menschen basieren. Und so ein kleines Rädchen in diesem grossen Gefüge sein zu dürfen, finde ich unglaublich spannend.

Aus dem Tagesgeschäft habe ich gelernt, dass man respektieren muss, dass es andere Menschen mit anderen Meinungen gibt, mit denen man eine Lösung suchen muss. Das hat mir auch immer sehr gefallen: Sich nicht nur über ein Problem beschweren, sondern eine Lösung suchen. Ich finde es irrsinnig spannend, mit ganz verschiedenen Leuten um einen Kompromiss zu feilschen (lacht laut). Man muss akzeptieren, dass man sich nicht eins zu eins durchsetzen wird.

Ich finde es irrsinnig spannend, mit ganz verschiedenen Leuten um einen Kompromiss zu feilschen.

Angenommen Sie würden gewählt: Wie würde sich Ihr Alltag unterscheiden?

Das weiss ich ja noch nicht so genau. Es gibt viermal pro Jahr Sessionen, die drei Wochen dauern, manchmal noch eine Sondersession, in dieser Zeit ist man in Bern. Sessionen sind extrem konzentriert und anstrengend, wie ich gehört habe. Das tägliche mit dem Velo Zur-Arbeit-gehen wie bis anhin würde somit wegfallen! Ebenso wie meine jetzige Führungsfunktion als Departementsvorsteherin. Im Ständerat macht man dann nur noch Gesetze, quasi “reine” Politik. Ich stelle es mir theoretischer vor als in der Exekutive, mein Departement ist ein Betrieb mit 500 Mitarbeitern, wo es auch praktische Probleme zu lösen gibt. Gleichzeitig habe ich hier meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mich unterstützen. Dies würde alles wegfallen. Es ist zwar gut, nicht immer das gleiche zu machen, aber es wird schon noch Tränen geben! (lacht) Ich bin hier so verwurzelt. Doch der Wechsel wäre ein neuer Schritt mit mehr Freiheiten, denn als Ständerätin sollte es zwischen den Sessionen schon ein bisschen weniger sein. Als Regierungsrätin arbeitet man wahnsinnig viel.

Wieviel Freizeit haben Sie denn?

Das ist schwer zu sagen. Neben der Arbeit im Büro und an Sitzungen gibt es am Abend und an den Wochenenden Anlässe und Aktenstudium. Und wirklich ablegen kann ich meine Arbeit kaum je. Bewege ich mich in der Öffentlichkeit, bin ich immer auch die Regierungsrätin. Doch das ist das Beste am Politikerinnensein: Mein Job ist mein Engagement und das ist ein Privileg.

Bewege ich mich in der Öffentlichkeit, bin ich immer auch die Regierungsrätin. Doch das ist das Beste am Politikerinnensein: Mein Job ist mein Engagement und das ist ein Privileg.

Und wenn Sie nicht gewählt würden?

Das müsste ich erst mal verdauen, ich würde mir sicher Vorwürfe machen, analysieren, was ich falsch oder zu wenig gemacht habe. Danach müsste ich mich neu orientieren, ich würde neue Aufgaben suchen – aber ich hoffe schon sehr, dass es klappt mit dem Ständerat!

Eva Herzog, vielen Dank für das Gespräch!

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