Illustration: Hannah Oehry

Glaube vs. Wissenschaft

Wenn man die Geschichte betrachtet, könnte man die Wissenschaft als Gegenbewegung zum Glauben auffassen. Zumindest schien sich die Kirche durch sie infrage gestellt und in ihrer Stellung bedroht gefühlt zu haben. Denn die Wissenschaft musste zu Beginn unter dem Monopol der Kirche leiden. Der Konflikt zwischen Glaube und Wissenschaft um die alleinige Existenzberechtigung ist wohl einer der grössten den die Menschheit bis jetzt gesehen hat und aus unseren Geschichtsbüchern nicht mehr wegzudenken. Wobei die Wissenschaft momentan die Oberhand gewinnt.

Ich unterscheide hier zwischen dem Glauben als solchem und den verschiedenen Arten zu glauben und ihn zu praktizieren, den Religionen. Der Glaube ist laut der Wissenschaft keine handfeste Tatsache, da er nicht mit Hilfe von wissenschaftlichen Methoden bewiesen werden kann. Doch fordert man einen wissenschaftlichen Existenzbeweis des Glaubens, müsste man ebenfalls die Wissenschaft mit Hilfe des Glaubens beweisen können. Denn geht man es nicht von beiden Seiten an, misst man der Wissenschaft eine hierarchisch höher gestellte Position bei, ohne diese angemessen begründen zu können. Doch was sind Glaube und Wissenschaft?

Die Wissenschaft versucht Sachverhalte, die wir sehen, schmecken, hören oder ertasten können, zu beschreiben, miteinander zu vergleichen, Zusammenhänge dazwischen zu erkennen und in ihrer Sprache zu definieren und festzuhalten. Da das System durch die aufeinander aufbauenden Definitionen in sich schlüssig ist, empfinden es die meisten Menschen als logisch. Jedoch erscheint es vielen auch als allgemeingültig. Und dies, obwohl es in der Natur des Systems liegt, immer wieder auf neue Beobachtungen und Sachverhalte angepasst und neu definiert zu werden. Der Glaube baut auf Gefühlen, Hoffnungen und Wünschen der Menschen auf. Es ist ein ganz bestimmter Zustand von Erfüllung, den jedoch jede Person anders wahrnimmt. Ausserdem gibt er den meisten Halt und dient als stärkende, beruhigende, tröstende oder auch wegweisende Kraft. Den Religionen geht es vor allem darum, den Menschen durch Moral einen bestimmten Weg zu zeigen, an den sie sich halten können, und ein Gefühl der Gemeinschaft und somit Zugehörigkeit zu schaffen. So kommt es aber auch vor, dass jene, welche überlieferte Schriften wörtlich nehmen, die Wissenschaft nicht als gültig anerkennen können, da sie in einem Widerspruch dazu steht.

Beide Systeme sind Wege etwas zu erklären und dadurch unseren Wunsch nach Sicherheit, welche wir im Wissen und Verständnis sehen, zu befriedigen. Dies tun sie auf unterschiedliche Arten und auf verschiedenen Ebenen des menschlichen Daseins. Diese Ebenen haben als einzige Schnittstelle das Leben selbst, was beide zu erklären versuchen. Es existiert also für uns keine verständliche Schnittstelle der beiden Systeme. Dies macht es uns unmöglich, das eine System mit dem jeweils anderen zu erklären, geschweige denn zu beweisen.

Es besteht nicht nur ein Verständigungsproblem wie etwa bei Sprachen, sondern ein grundsätzliches Verständnisproblem der zwei Systeme. In unserem wissenschaftlich geprägten Umfeld fällt es mir leichter, das aus niedergeschriebenen Definitionen und Verallgemeinerungen bestehende System der Wissenschaft zu beschreiben. Denn wir sind in einer Gesellschaft aufgewachsen, in der die Akzeptanz eines solchen Systemaufbaus sehr viel grösser ist, als jener für eines das auf Emotionen beruht. Da wir dadurch von klein auf sehr viel öfter mit dem System der Wissenschaft oder ähnlich aufgebauten Systemen konfrontiert werden, ist es nur natürlich, dass wir dazu neigen diese Art des Aufbaus als logisch und legitim aufzufassen. Wären wir öfter mit der Akzeptanz eines auf Emotionen basierenden Systems wie dem des Glaubens konfrontiert, wären wir eher geneigt, jenes als logisch und legitim zu empfinden. Schlussendlich ist jedoch individuell, welche Systeme man versteht und als wahr anerkennt. Andere können uns den Inhalt eines Systems erklären, aber solange wir dem System dahinter keinen Wert zuschreiben, bleiben es Aussagen, die wir zur Kenntnis nehmen und keine Tatsachen, die unsere Wahrheit darstellen.

Glaube und Wissenschaft sind zwei sehr unterschiedliche Systeme, welche verschiedene Aspekte des Daseins beinhalten. Meiner Meinung nach ergänzen sie sich und können unangefochten nebeneinander bestehen. Eines ist jedoch klar. Es gibt eine Wissenschaft für jegliche Art des Glaubens und einen fest verankerten Glauben an die Wissenschaft.

Schlussendlich ist es wichtig, dass jeder für sich einen Weg findet, der ihm selbst hilfreich und unterstützend erscheint. Die Wege sind so individuell wie wir selber und Probleme entstehen erst, wenn jemand diese Vielfalt nicht akzeptiert und in die Entscheidungs- und Meinungfreiheit eines anderen eingreift.

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