Ich-Ag

Wir, das Produkt - Wir, der Kollateralschaden

Im strikten juristischen Sinne beschreibt die Ich-AG ein «Einzelunternehmen, das von einem Arbeitslosen gegründet worden ist». Doch es gibt hier noch eine weitere Bedeutung, welche heutzutage immer mehr an Relevanz gewinnt: Die exzessiv perfektionistische Selbstdarstellung der Jugendlichen auf den sozialen Medien und im realen Leben. Die Ich-AG beschreibt hier den Versuch, sich selbst zum Produkt zu machen. Alles muss perfekt sein und je mehr Freunde man hat und je mehr Likes
man bekommt, desto besser geht es einem. Dies ist eine Entwicklung, welche in dieser Form erst durch die sozialen Medien aufkam.

Früher gab es auch Gruppen in Schulen mit beliebteren und weniger beliebten Schülern, doch dass die Möglichkeit besteht, dass sich das Online-Profil einer Person sich plötzlich verselbstständigt und auf das reelle Leben und Verhalten Auswirkungen haben kann, ist ein komplett neues Phänomen, welches viele überrumpelt. Dabei schliesse ich mich
selbst natürlich nicht aus, auch ich achte darauf, wie viele Likes mein Bild hat und überlege mir, was mein nächstes Bild sein soll, sodass es mehr geliked wird. Dieses Problem ist eines, welches jeder und jede hat, der auf den sozialen Medien aktiv ist, denn diese sind so aufgebaut, um in den Nutzern jene von Dopamin dominierten Emotionen hervorzurufen.

Unter dieser Entwicklung leiden wir, die Nutzer.

Wir werden gleichzeitig zum Produkt und zum Kunden
dieses Multi-Milliarden Geschäftes.

Mit «sozialen Medien» hat dies heute nichts mehr zu tun, sozial
waren sie nie. Denn über die Jahre entstand ein sehr interessantes Phänomen. Durch die immer schnellere Vernetzung und Kommunikation wird zwar unser Onlineprofil immer bedeutender, doch dabei verlieren wir gleichzeitig die menschliche Verbindung. Wir werden ungeduldig und erwarten, dass das Gegenüber sofort antwortet, wenn man ihm schreibt. Doch versetzt man sich jetzt eine
halbe Ewigkeit zurück ins Jahr 1970 und schreibt nun eine Nachricht, so wartet man auf die Antwort länger als nur einige Minuten. Diese Entwicklung hat uns natürlich auch näher zusammen gebracht, so
kann man heute mit Freunden auf der ganzen Welt praktisch ohne Verzögerung chatten. Die Kehrseite ist jedoch, dass wir immer weniger einzigartige reelle Momente erleben. Alles steht im Zeichen jener
schnellen, verknüpften Welt.

Überall möchten wir uns so verkaufen, wie wir uns
selber gerne sehen würden.

Sei dies online oder im Ausgang, dieses Aufkommen von Medien hat dazu geführt, uns selbst zu Produkten zu machen. Denn wie wir alle wissen, kann man sowohl mit YouTube als auch Instagram Geld verdienen, ohne grossen Arbeitsaufwand. Nun, ob dies stimmt, ist fraglich, doch klar ist, dass wir uns auf den sozialen Medien für die Werbung und das Geld praktisch ausziehen, in manchen Fällen wortwörtlich. Es ist ein Paradies für Marketing-Chefs. Wir kennen alle die Geschichten des einen Kollegen, der jetzt als Model bei Firma
Sowieso modelt und ursprünglich auf Instagram entdeckt wurden. Dies mag in manchen Fällen mit Neid bewundert werden, doch «entdeckt werden» ist schlussendlich das Ziel einer Ich-AG und ein Zeichen für ein erfolgreich geführtes Unternehmen. Doch Erfolg ist nicht das einzige was passiert, wenn man sich in den sozialen Medien bewegt. Ich würde sogar so weit gehen und sagen, dies sei etwas eher Seltenes.

Viel weniger hören wir von den Opfern und obwohl das Bewusstsein für den Umgang gestiegen ist, bietet das Internet eine unglaubliche Anonymität.

Nun, sprechen wir über die Opfer. Damit meine ich jedoch nicht jene, welche online gemobbt oder gestalkt werden, obwohl dies natürlich höchst tragisch ist.

Doch es gibt noch andere Opfer, welche noch seltener besprochen werden und das ist die Persönlichkeit und der Charakter einer Person.

Diese werden von seiner Online-Personifikation so dominiert, dass ihnen in der Realität beinahe kein Spielraum übrig bleibt. Denn durch das exzessiv perfektionistische Selbstdarstellen auf den sozialen Medien entsteht in den Köpfen der Anderen ein konkretes Bild von uns, an welches wir uns anpassen. Da wir diese Freunde nicht verlieren möchten, verstecken wir dann unseren ursprünglichen Charakter. Dies können kleine Dinge sein, doch in anderen Fällen zu einem Drang führen, sich eine Maske aufzusetzen, die man selbst kaum mehr absetzen kann.

Die Gewinner dieser Gesellschaft sind die Firmen, die nun etwas zuvor Unbezahlbares mit einem konkreten messbaren Betrag gleichsetzen können.

Da Facebook konstant über uns Daten sammelt und auswertet, können Sie ein genaues Kundenprofil erstellen, welches sie an Werbeagenturen verkaufen können, wodurch eine Charakter einer Person erstmals direkt in die das BIP eines Landes einfliesst. Wieviel Gewinn macht Facebook mit allen verfügbaren Daten einer Person und einem besseren Verständnis für das Verhalten einer Person als enge Freunde? Im Jahr 2015 hat Facebook an jedem Benutzer in Europa $14,32 verdient. Für diesen Betrag lassen wir uns alle von Facebook auf Herz
und Nieren ausspionieren, damit sie dann den Firmen genaue Zielgruppen anbieten können, von denen man weiss, dass sie anfällig sind für ihre Werbung. Hier verkommt die Ich-AG plötzlich zu einem lächerlichen Versuch eines Individuums, sich an dem Profit zu beteiligen, obwohl schlussendlich genau die zu dem werden, was den grossen Unternehmen wie Facebook und Google Gewinn einbringt.

Nun was ist der Ausweg? Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten. Ich denke jedoch, dass es das wichtigste ist, dass allen bewusst wird, dass diese Ich-AG nicht ein erfolgversprechendes Geschäftsmodell ist. Dann können wir uns auch wieder auf wichtigere Dinge konzentrieren und gemeinsam versuchen, die zahlreichen Probleme unserer Gesellschaft zu lösen, statt sich abzuschotten, egoistisch zu handeln und eben genau diese Probleme zu schaffen, die es zu bekämpfen gilt

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