Juvenoia – Angst vor und für die Nachfolge

«Die Jugendlichen von heute lieben den Luxus, haben schlechte
Manieren und missachten die Autorität. Sie widersprechen ihren
Eltern, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.»
Diese Weisheit stammt von Sokrates.

Ich muss dir, liebe Leserin, lieber Leser, eine ehrliche Frage stellen: Als du noch in der letzten Klasse warst, egal in welcher Schule, was hieltest du von den damaligen Schüler in der ersten Klasse?
Die häufigste Antwort auf diese Frage lautet «nicht
viel».

Diese beobachtete Vermeidung und Abschätzung der
jüngeren Jahrgänge lässt sich überall feststellen.

Seien es die die Viertklässler, die die Erstklässler auslachen, und das gleiche wiederum von den Sechstklässlern erfahren oder Bachelors, die sich auf Kosten der frischen Studenten amüsieren. Die nachfolgenden
Jahrgänge haben Letztklässlern zufolge meist keinen Geschmack, ob in der Musik oder dem Stil spielt keine Rolle, Ahnung vom Leben natürlich auch nicht und sowieso macht man sich seit geraumer Zeit Sorgen um das Bildungsniveau, wenn «die» nach uns übernehmen
sollen. Sogar im Arbeitsleben werden stets die jüngeren Kollegen belächelt, und werden aufgrund ihrer mangelnden Erfahrung als inkompetent abgestempelt oder gar gefürchtet. Natürlich ist es unsinnig zu behaupten, dass die ältere Gesellschaft Angst vor der Jugend hat, denn sie war selbst mal ein Teil von ihr und es gibt nur wenige, die sie sich nicht zurückwünschen. Es muss also etwas anderes geben, das die Generationen unterscheidet und so zu Vorurteilen führt.

Die Lösung liegt in den Trends der Jugend, den flüchtigen Modeerscheinungen der Popkultur, den Fidget-Spinners, den Penny-Boards und den zum Vollpreis verkauften Kleidungsstücken, die aussehen, als ob sie einmal dem Opfer einer Bärenattacke gehört hätten. Nach einer Weiterentwicklung der Kulturlandschaft gibt es immer die, die auf dem beharren, was sie kennen, und keine Hoffnung sehen für die, die es ihnen nicht gleichtun. Dieser Umstand gilt natürlich nicht nur für die oberflächliche kulturelle Evolution, sondern auch für die grundlegende: Erfindungen wie das Internet, das Fernsehen oder der Buchdruck führten ohne Ausnahme zu Sorgen um die Zukunft der Kinder und Angst um die Zukunft der Gesellschaft. Soziale Umwälzungen wie diese werden, wie in der Mode, oft von den Kinder derer, die auf den Status quo bestehen, als schädlich oder korrumpierend empfunden. Schlimmer noch steht es um die politische Veränderung, bei welcher die rebellische und unorthodoxe Jugend die vorhergehende Generation an Politikern und Gedankengut früher oder später notwendigerweise ersetzt.

Juvenoia ist nun also die übertriebene Angst vor
dem Einfluss gesellschaftlicher Veränderungen auf
die Jugend.

Innerhalb dieser kann man zwischen der effektiven Angst vor Jugendlichen, der Ephebiphobia, und der Besorgnis um Kinder unterscheiden; und wie alle kulturübergreifenden menschlichen Verhaltensmuster können auch diese mit Hilfe der evolutionären Biologie erklärt werden:
In allen Säugetieren, besonders im Menschen, ist die Sorge um den Nachwuchs schon im Namen enthalten, denn um diesen zu säugen, muss das Muttertier die Motivation haben, dies auch zu tun. Somit muss es einen biologischen Mechanismus geben, der auch uns dazu antreibt, uns um unsere Kinder zu kümmern und für ihre Zukunft zu sorgen. Weiterhin haben Organismen generell Veränderung der Routine nicht besonders gern: Wieso sollte man ein Verhaltensmuster ändern, das «gut genug» ist, die Geninformation des Individuums bis in die Gegenwart zu tragen? Aus der Sicht der Eltern wäre es unverantwortlich, anders zu leben, als sie es selbst taten.

Da diese angeborenen Verhaltensmuster schon seit der Antike für gesellschaftliche Kluften sorgen, müssen seit jeher die aufeinanderfolgenden Generationen verschieden gewesen sein. Der Biologie zum Trotz muss sich die Kultur verändert haben und das mit zunehmender Häufigkeit. Denen zufolge, die nicht mehr dazu kamen, die Früchte einer solchen Veränderung zu ernten, steuerte unsere Natur die Gesellschaft immer auf den Abgrund zu, doch glücklicherweise stimmt ihre Meinung nicht mit der Realität überein. Entgegen ihrer Prophezeiungen und Warnungen steht es besser denn
je um die Jugend!

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