Tanja Hammel

“Kann schon sein, dass Menschen Ideen wiederfinden möchten, die sie früher vermittelt bekommen haben”

Interview mit Tanja Hammel

Sonnenuntergang am palmengesäumten Sandstrand, fremde Bräuche und traditionelle einheimische Bevölkerung. Unsere Reisekultur ist voll von veralteten Vorstellungen, die in der Kolonialzeit fussen. Ein Gespräch mit Tanja Hammel, Historikerin mit Forschungsschwerpunkt Kolonialgeschichte, über einen wenig behandelten Abschnitt Schweizer Geschichte und dessen Auswirkungen bis heute. Sowie über den Zusammenhang von einem Alligator in einer beliebten Basler Bar und sich liebende Cousins aus dem Daig.

Bald leben wir bereits ein Jahr mit der Corona-Pandemie, mit vielen Reisebeschränkungen und Einreiseverboten. Wann waren Sie das letzte Mal so richtig am Reisen?

Oh, das ist schon länger her. So richtig gereist für die Forschung bin ich zuletzt 2017. Im Jahr 2020 wäre ich für mein neues Projekt nach Sambia und mit meinem Stipendium nach Washington gereist, was jetzt beides nicht geklappt hat. Für mich persönlich ist es aber noch praktisch, dass alle Konferenzen online stattfinden. So kann ich teilnehmen, obwohl ich gerade in «Elternzeit» bin.

Haben Sie manchmal Fernweh nach Übersee?

Ja. Wenn ich im Fernsehen Bilder von Südafrika, zum Beispiel aus Kapstadt sehe, habe ich Lust mal wieder dorthin zu reisen. Es ist schon schön dort.

Diese Sehnsucht nach der Ferne, die viele Menschen haben, ist die einfach natürlich?

Im Westen ist dies sicher auch historisch und gesellschaftlich geprägt. In Ländern im globalen Süden ist das Reisebedürfnis vielleicht weniger gross, da diese Möglichkeiten in der Vergangenheit nicht da waren.

In Ländern im globalen Süden ist das Reisebedürfnis vielleicht weniger gross, da diese Möglichkeiten in der Vergangenheit nicht da waren.

Mit welchen kolonial geprägten Bildern sehen wir Europäer*innen auf ferne Tourismusdestinationen?

Es gibt ja einige Menschen, die zu irgendwelchen «Naturvölkern» fahren und dann erzählen, dass alles so «entschleunigt» sei. Diesen Leuten ist dann gar nicht so bewusst, dass ihre Erfahrungen und diese Bilder oft sehr kolonial geprägt sind.

Inwiefern spielen während des Kolonialismus neben offiziellen staatlichen Projekten auch private Reisende eine Rolle in dieser Erschliessung neuer Landmassen?

Es gibt sehr viele Reisebeschreibungen von Schweizern aus der Kolonialzeit. Die Schweiz hatte zwar nur indirekt mit dem Kolonialismus zu tun, da sie selbst keine Kolonien hatte. Wenn man aber die Texte der Reisenden liest, findet man nur wenig Unterschiede zu Berichten von englischen oder deutschen Kolonialherren. Da fällt mir ein, dass es einen spannenden Dokumentarfilm namens African Mirror über René Gardi gibt. Kennst du den?

Nein, wer war das?

René Gardi war ein Schweizer Filmemacher und hat fürs SRF viele Dokumentarfilme über seine Reisen in Afrika gedreht. Er sagte, dass er es schade fände, dass die Schweiz nicht auch eigene Kolonien besässe. Gardis Meinungen und Arbeiten haben das Afrikabild in der Schweiz nachhaltig geprägt.

Gardis Meinungen und Arbeiten haben das Afrikabild in der Schweiz nachhaltig geprägt.

Welche Reisegeschichten lassen sich sonst über Schweizerinnen und Schweizer oder sogar über Baslerinnen und Basler aus dieser Zeit erzählen?

Da kommt mir zum Beispiel der zwar deutsche, aber in Zürich arbeitende Botaniker Hans Schinz in den Sinn, welcher nach Namibia gereist ist um Pflanzen zu sammeln, dann aber plötzlich angefangen hat auch Schädel und andere Sachen mitzunehmen. Er dachte, das wäre hilfreich, um in der Schweiz ein Renommee als guter Sammler und Wissenschaftler zu erhalten.

Das heisst sie haben ihre Arbeit in den Kolonien genutzt, um in der Schweiz Karriere zu machen?

Ganz genau. Und sie waren so automatisch Teil von kolonialen Netzwerken, haben sich mit Menschen von Kolonialmächten ausgetauscht und hatten entsprechend die gleichen Meinungen.

Ein anderes gutes Beispiel sind die Cousins Paul und Fritz Sarasin. Sie hatten mehrere Motive, um in die asiatischen Kolonien Grossbritanniens und der Niederlande zu reisen. Einerseits fanden sie das einfach spannend und haben viel dazu gelesen, andererseits geht man heute davon aus, dass sie ein Liebesverhältnis miteinander hatten, welches sie in ihrer Heimat nicht ausleben konnten. Aber natürlich brachten sie auch ganz viele Objekte nach Basel, die sich heute in den Sammlungen des Naturhistorischen Museums und des Museums der Kulturen befinden. Letzteres zeigt in letzter Zeit gute Ausstellungen, welche die Herkunft einzelner Objekte und Rückgabeforderungen thematisieren. Aber es gibt auch andere Institutionen wie die Bar «Atlantis» in der Klosterbergstrasse 23. Der Club wurde 1947 von den Brüdern Paul und Kurt Seiler ge- gründet, deren Reisen nach Afrika sie in Basel berühmt gemacht hatten. In ihrem erfolgreichen «Café Tropic» stellten sie «ihre Souvenirs» aus Afrika aus – eine Mischung aus Café und Museum. Ihr nächstes Projekt war das Atlantis, wo man Schlangen, Affen und das berühmte lebende Krokodil sehen konnte, das auch heute noch im Logo zu sehen ist. In den letzten Jahren wurde viel getan, um diese kolonialen Relikte ins Bewusstsein zu bringen. Die Black Lives Matter Bewegung hat dieser Diskussion eine neuen Aufschwung gegeben. Ich hoffe, dass diese Auseinandersetzung in den nächsten Jahren anhalten und in der breiten Öffentlichkeit geführt wird.

In den letzten Jahren wurde viel getan, um diese kolonialen Relikte ins Bewusstsein zu bringen.

Bei der Recherche für dieses Interview bin ich auf einen Text aus dem Kasperli-Theater «De Schorsch Gaggo reist uf Afrika» gestossen. Gibt es noch andere Beispiele, an denen sich diese Sehnsucht nach fernen Orten, aber auch diese rassistischen Bilder zeigen?

Ja, bei Tim und Struppi, Globi und Papa Moll gibt es ja auch eine paternalistische Darstellung des Afrikaners als infantiler, rückständiger Einfaltspinsel, exotisierende Typisierung als edler Wilder und Bilder, die einem differenzierten Afrikabild entgegenwirken. Bei Jim Knopf sind die Geschichten ja noch toll, aber hätten anders dargestellt werden sollen. Gerade bei Kindergeschichten überlege ich mir schon, was ich meinen Kindern erzählen möchte und was dann lieber doch nicht.

Wie haben im kolonialen Setting gemachte Erfahrungen, vielleicht gerade auf solchen Reisen, unsere Vorstellung von «anderen» Menschen geprägt und zu Rassismus geführt?

Vieles hat mit der Ausbeutung zu tun. Da musste man irgendwie legitimieren, wieso man Menschen versklavt. Stereotypen sind in diesem Fall sehr hilfreich. Diese Vorurteile waren auch bestärkend für die Missionierung. Man helfe ihnen ja direkt aus ihrem Anderssein heraus. Reisen dienten also der Selbstaffirmation und hatten immer etwas Extrahierendes. Und das nicht erst seit dem 19. Jahrhundert. Pilgerreisen und Kreuzzüge waren schon Formen desselben Problems.

Reisen dienten also der Selbstaffirmation und hatten immer etwas Extrahierendes. Und das nicht erst seit dem 19. Jahrhundert.

Wenn unsere Reisekultur von veralteten Bildern angetrieben ist, könnte man das Reisen dann auch als eine Art postkolonialistische Melancholie bezeichnen?

Ja, dass Menschen diese Ideen wiederfinden möchten, die sie früher vermittelt bekommen haben, das kann schon sein. Ich bin gespannt, wie sich das in den nächsten Jahren entwickelt; ob das Fernreisen eher abnimmt oder nicht. Das wäre auch für das Klima gut und jetzt haben wir gemerkt, dass es auch ohne geht.

Wenn ich das so höre, habe ich das Gefühl, dass es sehr schlecht um unsere Reisetradition aussieht. Darf man überhaupt noch andere Kulturen kennenlernen? Wäre es nicht besser, wir würden einfach in der Schweiz bleiben?

Nein, von mir aus gesehen nicht. Reisen ist ja auch bereichernd und erweitert den Horizont. Viele reisen aber beispielsweise nach der Matur in afrikanische Länder für «Hilfseinsätze». Da fände ich es schon gut es entstünde ein Dialog mit der Lokalbevölkerung und das, was da realisiert wird, entspricht deren Bedürfnissen. Da könnten auch die Schulen ein stärkeres Bewusstsein schaffen, damit Schweizer*innen nicht durch die Welt laufen und das Gefühl haben, sie wüssten alles besser.

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