Langeweile – ein Erlebnisbericht

Dauerbeschäftigt: Zwischen witzigen Tierbildern und Netflix bleibt keine Zeit mehr für Langeweile. Ein Text für ein aussterbendes Gefühl.

Langeweile. Klick. Katzenbabies, Babyprobleme – so gross gemacht wie Elefanten, Wildlife-Momente zum Totlachen, R.I.P Prince, Prinzessin Lillifee sexistisch?!???, 69 Tipps für den perfekten Traummann, George Clooneys Heirat in Venedig, echte italienische Pizza zum Selbermachen, How to build: Geheimversteck hinter einem Bücherregal, Lesetipps für die Winterferien, Disney-Weihnachtsfilme-Marathon, ein Mann läuft zu Fuss durch die Wüste – Unfassbar, was dann geschah! Die Langeweile ist weg, besiegt, verdrängt. Ich bin beschäftigt. Weil ich beschäftigt sein will. Warum?

Der Grund liegt nicht bei den Inhalten, durch die ich mich rastlos klicke. Sie sind Lückenfüller. Angemessen spannend, dass ich sie sehen möchte, aber vermissen würde ich sie auch nicht.

Sie sind so einfach verfügbar, dass ich schon reflexartig das Youtube-Icon anklicke. Es gibt keinen Moment mehr, in dem ich nicht unterhalten, beschäftigt und abgelenkt bin.

Ich bin auf der Flucht. Das bemerke ich spätestens, als ich zum dritten Mal auf dem Homescreen hin und her swipe – suche ich überhaupt was?

Ich mache, was mir angeboten wird: Oh, zwei Follower! Ein Newsbeitrag

Dabei weiss ich eigentlich nicht, was ich möchte. Ich flüchte vor dem Nichtstun.

Langeweile hat, obwohl sie sich eher so anfühlt, als wäre man gefangen in ewiger Sinnlosigkeit gepaart mit nicht endender Frustration, nicht nur negative Aspekte: Die Forschenden Wijnand van Tilburg und Eric Igou argumentieren, dass Langeweile uns auch als Warnsystem dient: Wenn uns langweilig ist, signalisiert uns das, dass die momentane Tätigkeit an Bedeutung verloren hat. Das wiederum löst den Drang aus, sich andere, sinnvollere Beschäftigungen zu suchen.

Dieser Prozess befeuert die Phantasie. Als Kind erweckt man an einem langweiligen Sonntagnachmittag Drachen, Lokomotiven und Ausserirdische zum Leben. Diese Fähigkeit, sich selber beschäftigen zu können, führte zu etlichen Spielen mit mehr oder weniger durchschaubaren Regeln und zu einer wertvollen Eigenschaft: Kreativität.

Oder man langweilt sich. Und muss sich damit abfinden.

Doch was wurde aus der Langeweile, jetzt wo man nicht mehr nach dem Mittagsschläfchen als Kapitän über alle sieben Weltmeere segelt?

Im Gegensatz zum hilflosen Kind haben wir die Macht, zum Smartphone zu greifen und die Langweile zu überdecken. Doch vielleicht ist die einfachste Lösung nicht die beste. Langeweile facht die Fantasie an, warnt uns vor Bedeutungslosigkeit und sie bremst unsere Rastlos…

Klick.

Katzenbabies.

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