Zur Person: Philipp Blom wurde 1970
in Hamburg geboren, er hat moderne
Geschichte, Philosophie und Judaistik
in Wien und Oxford studiert. In London
arbeitete er als Journalist und Übersetzer,
danach lebte er einige Zeit in Paris, um
für seine Bücher zu recherchieren. Heute
lebt er in Wien, wo er auch für den ORF
moderiert. 2017 erschien sein Bestseller
„Was auf dem Spiel steht“.

Philipp Blom im Interview

Herr Blom, stellen Sie sich vor, Sie seien ein junger Historiker im Jahr 2060 und würden ein Geschichtsbuch über unsere Gegenwart schreiben. Auf was würden Sie ihren Fokus legen?

Dieses Gedankenexperiment habe ich in meinem Buch “Was auf dem Spiel steht” kurz gestreift. Wenn man unsere Situation betrachtet, wird klar: Es kommen gigantische Veränderungen auf uns zu – vor allem in Form des Klimawandels, aber auch die Digitalisierung wird grosse Probleme aufwerfen. Wir wissen das. Aber wir tun schlicht nicht genug! Im Besonderen die reichen, westlichen Gesellschaften möchten eigentlich eher verhindern, dass die Zukunft eintritt und versuchen, die Gegenwart so lange wie möglich auszudehnen. Denn wir alle haben begriffen, dass wir nicht mehr reicher und bequemer werden können in der Zukunft. Diese Zukunftsverneinung halte ich für ein sehr zentrales Charakteristikum unserer Zeit.

Eine dieser grossen Veränderungen, die stark prägend sein wird, ist der Klimawandel.

Diese Klimaveränderungen bedeuten nicht, dass es überall zwei bis drei Grad wärmer wird. Es heisst, dass sich das globale Wettersystem verändert und mit ihm muss sich auch die Landwirtschaft verändern. Dies wiederum wirkt sich auf den internationalen Handel aus und somit auf die ganze Gesellschaft. Die Folgen sind gravierend: Bauern, die in den äquatornahen Gegenden dieser Welt leben, müssen ihre Heimat verlassen, einfach weil viele Pflanzen sich dort nicht mehr anbauen lassen. Die landwirtschaftlichen Gebiete verschieben sich um hunderte von Kilometern weg vom Äquator – hinweg über Staats-, Stammes- und Besitzesgrenzen. Hunderte von Millionen Menschen werden heimatlos.

 

Diese Veränderungen werden nicht erst in 2000 Jahren eintreten, denn schon jetzt sind die ersten Anzeichen sichtbar. Diesen Februar war es in der Arktis 30° Celsius wärmer als im Durchschnitt. Um das klar zu machen: 30° Celsius! Nun kann man versuchen zu erahnen, was diese Klimaveränderungen für Nahrungskrisen nach sich ziehen könnten und was das für die politische Stabilität bedeutet. Selbstverständlich wird sich das auch auf Europa auswirken: Was bedeuten diese Veränderungen für die strategische Sicherheit, für die ökonomische Versorgung, für die Migrationspolitik?

Es wird schnell klar, dass sich unsere Gesellschaften auf den grundlegendsten Niveaus verändern werden. Ich würde allerdings auch argumentieren, dass das letztendlich auch Veränderungen in unserem Denken, in unserem Selbstbild, in unserer Kultur und in unserer Lebensweise nach sich ziehen wird.

Doch bis jetzt improvisieren wir hier und da am Rande ein wenig, um diesen Herausforderungen zu begegnen – aber wir tun nicht auch nur im Ansatz genug, um diesen Herausforderungen zu begegnen.

Darin liegt die Ironie der ganzen Situation: Wir haben das Verständnis davon – übrigens als erste Generation in der Geschichte der Menschheit – was ungefähr auf uns zukommen wird.

Die Prognosen von Klimawissenschaftlern sind bis jetzt eigentlich alle eingetreten, allerdings wesentlich schneller als vorausgesagt.

Nun sprechen Wissenschaftler davon, dass es einen Zeithorizont von 20-30 Jahren gibt, in dem wir noch etwas bewirken können. Mir ist es sehr wichtig, dass man sich immer wieder bewusst wird, dass die Welt, in der wir leben, nicht so ist, weil sie so sein muss, sondern weil sie relativ zufällig so geworden ist. Das heisst, sie könnte auch anders sein! Wie die Zukunft aussieht, hängt also direkt davon ab, was wir persönlich hier und jetzt tun. Wir können tatsächlich entscheiden, dass wir weggehen von fossilen Brennstoffen, dass wir Wirtschaftsmodelle finden, die zwar wachsen können, aber nicht wachsen müssen und sich unsere Konsumgesellschaften ändern muss. Ich bin persönlich davon überzeugt, es müsste keine schlechtere Welt sein.

Mein Buch heisst nicht „Morgen sind wir alle tot“, sondern „Was auf dem Spiel steht“, weil ich glaube, hier steht viel auf dem Spiel – und noch ist dieses Geschichtsbuch nicht geschrieben!

Die Geschichte, die wir schreiben

Zur Serie: Wir stellen an Politiker, Historiker, Wissenschaftler, Künstler und alle, die sich für unsere Welt interessieren, die gleiche Frage: Wenn es ein Geschichtsbuch über unsere Zeit gäbe, was würde darin stehen?

Aktuelle Artikel

...
Mehr Artikel
laden