Politiker und Polls – Meinungen und Medien

Wie Politiker und Medien gleichzeitig Opfer und Täter sind und über die Macht der Migration.

5 Millionen. So viele Menschen waren im Jahr 2017 laut Angaben der Uno-Flüchtlingshilfe auf der Flucht. Und es werden mehr – unter anderem auch weil der Klimawandel die Lebensgrundlage für viele Menschen zerstört. So stieg die Migrationspolitik zum wohl bedeutendsten Wahlkampfthema auf. Das lässt sich über auf der Welt beobachten.

In Frankreich kam „Front National“ mit einer extremen Haltung gegen Migrantinnen und Migranten zu einem sensationellen Wahlergebnis, auch in Italien gewannen zwei Parteien mit ähnlicher Haltung, Amerika wählte Trump, der amtierende Präsident von Ungarn baute seinen Wahlkampf auf der Hetze gegen Ausländer auf und danach eine Mauer an seinen Grenzen. Selbst der Brexit wurde durch die Forderung gestützt, dass Grossbritannien in Migrationsfragen nicht von der Europäischen Union abhängig ist. Angst mobilisiert.

Auch in Deutschland und der Schweiz wurde diesem Thema viel Beachtung geschenkt. SVP, Afd, Republicans und Co. machten das Thema zu einem Kern Ihrer Politik und die Linke hinkte und hinkt noch immer hinterher. #Aufstehen, eine neue linke Bewegung aus Deutschland, vermag es nicht sich zu einigen: Offene Grenzen oder nicht? Weil dieses Thema so präsent ist, fällt es sehr auf, wenn Parteien keine klaren Lösungen vorschlagen. Das spielt denen in die Karten, die einfache Lösungen propagieren. Schwarz oder weiss, Willkommenskultur oder Mauerbau – nichts dazwischen. Die differenzierte Mitte hat in dieser Diskussion das Nachsehen.

Am besten sieht man dieses Phänomen bei der Christlichdemokratische Volkspartei. Man kann von ihr halten, was man will. Doch wie die Recherchen des Politologen Claude Longchamp zeigen, ist sie die Partei, die am ehesten dem Volkswillen entspricht. Ihr Wähleranteil schrumpft jedoch stetig. Jetzt ist die Partei verzweifelt auf der Suche nach neuen Wählerinnen und Wähler. Doch dieser Versuch sich in dieser emotionalen Diskussion neu aufzustellen, ist schwierig.

Komplexe Lösungen passen nicht in einen Slogan.

Fakten bleiben auf der Seite, die Diskussion wird beherrscht von denen, die am lautesten rufen und angemessen komplexe Lösungen passen nicht in einen Slogan.

Opfer und gleichzeitig auch Opfer dieser Migrationsdebatte sind die Medien. Wie kann man ein globales, unendlich komplexes Problem angemessen vermitteln? Auch hier das gleiche Problem: Für Nuancen und Differenzierung hat es in Breaking News- Meldungen keinen Platz. Und wer mit seinen Beiträgen Emotionen wecken kann – besonders wirksam: Angst – wecken kann, der wird ein Publikum haben. So setzen sich, besonders im Internet, radikale Verschwörungstheoretiker durch, die mit abstrusen Theorien tausende Menschen erreichen.

Und sie haben es an die Spitze geschafft: Zur Recherche dieses Artikels suchte ich nach einem Dokumentationsfilm auf Youtube und gab auf gut Glück den Begriff „Migration“ ein.

Erstes Resultat: ein Video zum Thema Migrationspakt. Nach nur einer Minute sagt die Person: „Dieser Pakt ist konzipiert um die heimische Bevölkerung der westlichen Nationen so schnell wie möglich zu ersetzen, so dass jede nationalistische Bewegung durch veränderte Bevölkerungszusammensetzung neutralisiert werden kann.“ Diese Unterstellungen stimmen hinten und vorne nicht (Siehe Kasten).

Dann ein Clip einer Pressekonferenz eines Mitgliedes der rechtsextremen Fraktion „Europa der Nationen und der Freiheit“. Er sagt: „Länder, die die dritte Welt importieren, werden zur Drittweltländern“. Das Video geht insgesamt 20 Minuten und hat nach 24 Stunden bereits 48›000 Aufrufe.

Das zweite Resultat ist ein Musikalbum, das Dritte wieder ein Video zum Migrationspakt der Uno. Der Kommentator von „Rebel Media“ spricht von „Invasion“ wenn er von Migranten spricht und sieht sich als Rebell gegen die vom Premierminister von Kanada gesponserten Medien.

Beitrag Nummer 4 (Dokumentation) und Nummer 5 (Rede eines linken Abgeordneten) können zur Diskussion beitragen. Dann wieder „Rebel Media“, dann wieder ein seriöses Video über den Brexit.

Das Video Nummer 7 das erscheint, wenn man bei Youtube „Migration“ eingibt, trägt den Titel „Hillary Clinton Admits that Globalism is Losing, Warns Europe on Migration“. 28›000 Aufrufe.

Scrollt man weiter stösst man auf weitere solche Beiträge: Interview mit einem Politiker der Afd, vier weitere Beiträge gegen den Migrationspakt, alle ignorieren ganz offensichtlich Fakten.

Dann ein Lichtblick neben kruden Verschwörungstheorien: Eine Dokumentation für Kinder über das Migrationsverhalten von Hirschen.

Dann geht es endlos weiter mit spektakulären, aber völlig irrwitzigen Theorien von Links- und Rechtsextremen, Videos von TheSimpleGeography und einigen Videos von bekannten Fernsehsendern. Auffallend bei den Beiträgen von CNN und Fox News: Es sind immer nur kurze Schnipsel die eine grosse Anzahl schwarzer Migranten auf extrem engem Raum zeigen, Kontext gibt es keinen dazu.

Wie soll sich jemand eine Meinung bilden, wenn das die Quellen sind? Und ja, Youtube wird immer mehr zum Medium, das besonders Junge anzieht und einen grossen Einfluss auf die Meinungsbildung hat. Denn so absurd die Theorien dieser Verschwörungsvideos sind, die Videos machen einen professionellen Eindruck und lassen sich nicht von seriösen Inhalten unterscheiden. Das gleiche Phänomen zeigt sich auch bei anderen Plattformen.

Extreme Inhalte mit klarer Message werden unterstützt, die wiederum eine extreme Politik fördert. Diese legitimieren diese Inhalte. Das führt zu einem Teufelskreislauf. Bis jetzt ist dafür keine Lösung in Sicht, besonders weil diese Plattformen auch extrem profitieren.

Umso wichtiger, dass wir uns dieser Gefahr bewusst werden. In diesem Sinne: Lest die Basler Zeitung, die WoZ und schaut BBC!

 

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