Was vor Freiheit kommt

Eine philosophische Vertiefung

Der Freiheitsbegriff lässt sich bekanntlich auf viele Arten zerlegen. Von der grundsätzlichen Teilung in negative und positive Freiheit durch Isaiah Berlin bis hin zur praxisnahen Zerlegung des Begriffs in psychologische, soziale, kulturelle, religiöse, politische oder rechtliche Freiheit. 

Gesellschaftliche und politische Debatten beschäftigen sich vor allem damit, inwiefern die sogenannte Handlungsfreiheit eingeschränkt oder ausgedehnt werden soll. Als Handlungsfreiheit versteht sich die Freiheit, im Rahmen des gesetzlich Zulässigen handeln zu dürfen oder grundsätzlich die Möglichkeit, nach eigenen Entscheidungen handeln zu können und nicht durch Umstände zum Handeln gezwungen oder davon abgehalten zu werden. 

 

Ein Gesichtspunkt bleibt bei solchen Debatten meist unberührt. Die Rede ist vom Begriff der Willensfreiheit. Diese ist gegeben, wenn die folgenden drei Bedingungen erfüllt sind: Erstens muss eine Person Urheber seiner Handlung sein (Urheberschaft), zweitens muss aus verständlichen Gründen gehandelt werden (Intelligibilität) und drittens muss die Person auch anders handeln können (Alternativismus). Über diese Definition ist man sich aber keineswegs einig. Dies nicht zuletzt, da das Problem der Willensfreiheit zu den grössten der Philosophie gehört. Eine Einigung über das Verständnis von Willensfreiheit müsste aber einer Diskussion über Handlungsfreiheit zwingend vorausgehen. 

 

Verfolgt man die These des kausalen Determinismus, die besagt, dass jedes Ereignis durch die entsprechenden Vorbedingungen gesetzt ist, erübrigt sich faktisch jede Diskussion über das politische Ausmass von Handlungsfreiheit. So wäre demnach nicht nur das Individuum seiner Willensfreiheit beraubt, da der Gedankengang und die resultierende Entscheidung bereits festgesetzt sind, sondern auch jegliche externen Einschränkungen der Handlungsfreiheit unumgänglich, da sie ebenfalls vorherbestimmt sind. Wird diese Theorie zu Ende gedacht, entfällt das klassische Verständnis von Verantwortung. Denn: Was nicht beeinflussbar ist, dafür kann auch keine Verantwortung getragen werden.

 

Wie heute bekannt ist, sind viele Verhaltensweisen des menschlichen Körpers tatsächlich durch vorbestehende biochemische Bedingungen bestimmt. Bezeichnend dafür steht das «Libet-Experiment» des gleichnamigen, amerikanischen Neurophysiologen Benjamin Libet: Er untersuchte die Gehirnströme des motorischen Cortex während einer Bewegung. Die Erkenntnis bestand darin, dass der Körper mit der Vorbereitung für eine Bewegung bereits begonnen hat, bevor man sich für die sofortige Ausführung entscheidet. Generell lässt sich sagen: Aus neurowissenschaftlicher Sicht wurden bisher wenig Indizien dafür gefunden, dass wir in unseren Entscheidungen frei sind.

 

Wird diese These weitergeführt, liegt der Folgeschluss nahe,  dass wir, wenn wir wirklich frei sind, etwas haben müssen, das unsere Entscheidungen abgesehen von natürlichen Prozessen beeinflusst, wie etwa ein Bewusstsein oder eine Seele. Ist dem nicht so und dem Determinismus wird Folge geleistet, ist selbst der lauteste Ruf nach Freiheit Ausdruck einer Gefangenschaft im vorgeschriebenen Vorangehen des Universums. 

 

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