Die alte Zukunftsangst der neuen Generation

Klimawandel, Hungersnöte, Überbevölkerung. Die Welt scheint konstant auf neue Krisen zuzusteuern und jede Herausforderung scheint in ihrer Bedrohlichkeit immer noch grösser als die vorige. Vor allem junge Leute betrachten unsere bisherige Lebensweise deshalb mit Argwohn und Pessimismus. Dabei ist dieser Pessimismus nicht nur oft fehlgeleitet, sondern kann sogar gefährlich werden.

Lisa ist 28 Jahre alt. Sie hat gerade ihr Studium beendet und macht sich nun mit ihrem Freund Ben Gedanken über ihre gemeinsame Zukunft. Beide lieben sie Kinder und es wäre ihr Traum, eine eigene Familie zu gründen. Als gebildete Mitglieder der intellektuellen Mittelschicht wissen sie allerdings gut um die globalen Krisen, besonders den Klimawandel Bescheid und haben ein genaues Bild vom Ausmass der ökologischen Katastrophe, die uns drohen soll. Von diesen apokalyptischen Szenarien wissend, kommen die beiden zum Schluss, dass es in höchstem Masse unmoralisch wäre, ein Kind in diese dem Untergang geweihte Welt zu setzen. Das Kind hätte erstens den ganzen Niedergang des Planeten mitzuerleben und würde zweitens mit seiner Lebensweise nur noch weiter zum Problem beitragen. Das Leben eines Menschen ist doch statistisch gesehen enorm klimaschädlich.

Es scheint einigen vielleicht zynisch, den Wert eines neuen Menschenlebens in Tonnen CO Äquivalenten abzumessen, wie es im oberen fiktiven Szenario Ben und Lisa tun, doch genau dieses Denken ist in grossen Teilen der jungen Generation zu beobachten. So kommt es im Gymnasium nicht selten vor, dass sich in Diskussionsrunden im Ergänzungsfach Philosophie die Hälfte der Gruppe im Hinblick auf die Klimakrise kritisch zum Kinderwunsch äussert oder diesen ganz aufgibt. Dieses Bild einer enorm klimaängstlichen Generation wird jedoch nicht nur durch die eigenen Alltagserfahrungen oder Darstellungen in den Medien bestätigt, sondern auch von statistischer Seite. Eine Umfrage der „University of Bath“ mit über 10‘000 Teilnehmern hat ergeben, dass 75 % der Jugendlichen „grosse Angst“ vor der klimatischen Entwicklung in den nächsten Jahrzehnten haben. Bei den Angstforschern und Psychiatern ist mit dem Begriff der „Climate Anxiety“ sogar eine neue Diagnose in die Lehrbücher eingegangen, die immer mehr junge Leute betrifft1. Dieses enorme Mass an Ängstlichkeit hat auch Auswirkungen auf den Kinderwunsch: Rund ein Drittel der Amerikaner zwischen 18 und 25 gaben die Angst vor dem Klimawandel als einen der wichtigsten Faktoren in der Kinderfrage an (2)

Aber nicht nur in Bezug auf den Klimawandel sind die schwarzsichtigen Tendenzen in unserer Gesellschaft überdeutlich. Das allgemeine Narrativ, befeuert durch übersimplifizierte Slogans im politischen Aktivismus und auf schockierende Schlagzeilen angewiesene Medien, scheint folgendermassen zu lauten: Mit jedem Jahr wird die Welt ungerechter und extreme Armut und die Zerstörung durch Naturkatastrophen nehmen immer weiter zu. Ein dermassen negatives Bild verkauft sich in der breiten Masse gut, wenn es darauf ankommt, aus dem Entsetzen der Leute politisches Kapital zu schlagen, indem man eben jenen entsetzten Menschen das passende politische Mittel, wie etwa freiheitseinschränkende Verbote oder radikale Systemwandel, gegen die Apokalypse verschreibt. Das Problem dabei: Dieses Bild ist in weiten Teilen nicht nur unvollständig, sondern gänzlich falsch. 

Um mit den bekanntesten Trugschlüssen des pessimistischen Narratives aufzuräumen, lässt sich hier aufzählen, dass die weltweite finanzielle Ungleichheit in absoluten Zahlen zwar zugenommen hat, in prozentualen, relativen Zahlen allerdings nicht. Das liegt daran, dass zwar die extrem Reichen immer reicher werden, aber die extrem Armen mit grosser Geschwindigkeit ebenfalls reicher werden. Wie die „World Bank“ in einer Untersuchung ermittelt hat, ist extreme Armut allein seit 1990 um 72 % zurückgegangen3. In absoluten Zahlen entspricht das über 1,1 Milliarden Menschen, die in nur 25 Jahren der extremen Armut entkommen sind. Die Anzahl der Opfer von Naturkatastrophen seit 1970 hat mit einem Rückgang von 70 % ebenfalls abgenommen4. Der Anteil der Analphabeten ist in den letzten Jahrzehnten drastisch gesunken5, ebenso wie die Kindersterblichkeit6. Im Bereich des Klimawandels wird ebenfalls schnell über wichtige Errungenschaften und Entwicklungen hinweggesehen oder gar nicht darüber berichtet. So ist der Anteil an erneuerbaren Energien am weltweiten Strommix allein in den letzten zehn Jahren um über 10 % gestiegen und wegen Fortschritten in der Forschung in diesem Bereich ist mit einer Fortführung dieses Trends und einer abnehmenden Wettbewerbsfähigkeit fossiler Brennstoffe am globalen Markt zu rechnen7. Wo wir schon beim Thema der Klimakrise sind, so können wir heute glücklicherweise sagen, dass die mehrfach heraufbeschworene Apokalypse so wohl nicht eintreten wird. Dank der angesprochenen Entwicklungen im Bereich der erneuerbaren Energien und allgemeinen Fortschritten der Technologie wird eine Erwärmung über 3° Celsius bis zum Jahr 2100 von der überwiegenden Mehrheit der Wissenschaftler ausgeschlossen, selbst wenn wir in etwa so weiterleben wie bisher8. Diese Erwärmung von 3° Celsius hätte immer noch verheerende Konsequenzen für viele Ökosysteme und Bewohner stark betroffener Regionen und muss durch das Ausbauen des Klimaschutzes unbedingt auf ein verkraftbares Mass begrenzt werden. Allerdings scheint es angesichts dieser Aussichten keineswegs angebracht, von der «Klima Apokalypse» zu sprechen. Auch sollte man sich nicht in der «Climate Anxiety»verlieren, sodass man keine Kinder mehr in die Welt setzen will, zumal sich diese wie oben dargelegt in fast jeder Dimension auf einem Weg enormer Verbesserung befindet.

Und trotzdem ist in vielen Fällen ein öffentlicher Pessimismus zu beobachten, der oft schmerzlich der Faktenlage entgegenläuft. Noch überwiegend beeinflusst durch die Grundannahmen des Club of Rome scheinen wir heute in der allgemeinen Wahrnehmung in sämtlichen Bereichen an die «Grenzen unseres Wachstums» gestossen zu sein und haben nun den Preis für unsere Gier zu bezahlen. Tatsächlich ist diese Tendenz der Intellektuellen hin zu Pessimismus und Zukunftsangst nichts Neues. Der liberale Philosoph John Stuart Mill hat diese bereits 1828 in einer Rede festgestellt:

„Ich habe beobachtet, dass nicht derjenige von vielen Menschen als Weiser bewundert wird, der hofft, während andere verzweifeln, sondern derjenige, der verzweifelt, während andere hoffen.“

Schwarzmaler erscheinen uns häufig seriöser als Optimisten oder Menschen, die den erreichten Fortschritt aufzeigen. Schnell steht bei Letzteren der Vorwurf im Raum, sie würden die Probleme kleinreden oder sich Massnahmen hin zu zukünftigem Fortschritt entgegenstellen, da ihnen zufolge ohnehin schon alles gut sei. Menschen hingegen, die Zukunftsangst und Apokalypse predigen, schenken wir eher Glauben. So dachten wir, bis vor wenigen Jahrzehnten noch, die Überbevölkerung führe zwangsläufig zu einem Kollaps der Infrastruktur und zum Aus der Ressourcen (wie etwa Paul R. Ehrlich, dessen alarmistisches Buch The Population Bomb durch unwahre Vorhersagen viele Menschen beeinflusst hat), während heute die Bevölkerungsrate mit zunehmender Bildung stark abnimmt. In vielen entwickelten Ländern wird der Bevölkerungsrückgang schon zum Problem, in Japan gemäss dem Premierminister sogar schon zu einer Gefahr für eine funktionierende Gesellschaft. Oder als anderes Beispiel, als die Menschen der 1960er dachten, die Welt müsse zwangsläufig in der atomaren Apokalypse zwischen der Sowjetunion und den USA enden. Pessimismus angesichts vermeintlicher Apokalypsen ist kein neues Phänomen. Trotzdem, unser Glaube an sie bleibt unerschütterlich.

Eine mögliche Erklärung für das Phänomen dieses Zukunftspessimismus ist der psychologische Mechanismus des negative Bias, wonach wir Menschen einem Ereignis evolutionär bedingt mehr Bedeutung oder Glaubwürdigkeit beimessen, wenn dieses mit negativen Gefühlen einhergeht. Unter anderem deshalb wirkt es seriöser, der Zukunft und den gegenwärtigen Entwicklungen mit grosser Sorge entgegenzusehen als mit einer Spur von Optimismus, so gut belegt dieser auch sein mag. 

Eine andere Erklärung für die negative Wahrnehmung unserer Entwicklungen ist die Funktionsweise der Medien. Eine Zeitung berichtet meist auf eine möglichst aufmerksamkeitserregende Art und Weise von den Ereignissen in der Welt. Wenn es sich bei diesen Ereignissen auch noch um Katastrophen handelt und somit unser Negative Bias stimuliert wird, verkaufen sich News natürlich umso besser. Keine Zeitung wird Schlagzeilen darüber schreiben, wie viele Menschen in den letzten Wochen der extremen Armut entkommen sind, oder wie viele Menschen im Vergleich zu den Vorjahren eben nicht an Naturkatastrophen gestorben sind. Stattdessen lesen wir in grossen Lettern von Hungersnöten in der Sahel-Zone oder von erschreckend hoch scheinenden Opferzahlen neuer Naturkatastrophen. Das negative Weltbild formt sich bei den meisten Menschen aus diesen Schlagzeilen, die eben einen Teil der Wirklichkeit zeigen, aber niemals die ganze Entwicklung.

Es ist allerdings nicht nur schade, wenn man den gegenwärtigen Entwicklungen bereits in jungen Jahren eine pessimistische oder gar ängstliche Haltung entgegenbringt, sondern auch gefährlich. Pessimismus und Alarmismus bilden den Nährboden für radikales Denken. Wenn die alte Maschine in der eigenen Wahrnehmung nur noch Probleme verursacht und sich zu langsam an neue Aufgaben anpasst, was bleibt dann noch anderes übrig, als diese Maschine zu zerstören? Die Konsequenz hochgesteigerter Zukunftsängste ist Radikalismus statt Rationalismus und alarmistischer Aktivismus statt realitätsnahen Lösungsansätzen, die mit den Grundwerten unserer liberalen Demokratien und wirtschaftlichem Wohlstand vereinbar sind. Und auch wenn es sich besser vermarktet, erst die Apokalypse an die Wand zu malen, um diese dann durch die eigene Idee von einem radikalen Systemwandel heldenhaft abzuwenden, wäre es fahrlässig, die bisherigen Errungenschaften und anhaltenden positiven Entwicklungen zu ignorieren, um in einem Anfall von Zukunftsangst alles über Bord zu werfen. 

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