Eine Nation, zwei Länder, zwei Ansichten

Erinnerungen an das geteilte Deutschland von einer Ost- und einer Westdeutschen.

Der zweite Weltkrieg war einer der grössten und verheerendsten Kriege der Weltgeschichte. Nach der Katastrophe war dann zwar der eigentliche Krieg vorbei, die Konflikte waren jedoch noch nicht alle gelöst – die Welt befand sich im sogenannten “Kalten Krieg”, der zwischen dem kommunistischen Osten und dem kapitalistischen Westen herrschte. Deutschland wurde im Zuge dieses Krieges in zwei Teile – Ost- und Westdeutschland – gespalten. Während im Westen Reise- und Meinungsfreiheit sowie Demokratie die Folge waren, wurde Ostdeutschland nach und nach zu einer ummauerten Diktatur. Es entstanden also zwei komplett unterschiedliche Systeme. Zwei Frauen aus dem geteilten Deutschland erzählen, wie ihr Leben im geteilten Land aussah. Mechthild Pfeffel, Jahrgang 1957, lebte in Heiligenstadt im Osten und Hubertine Underberg, Jahrgang 1962, wuchs in Xanten-Marienbaum im Westen auf.

Wie wurde in der Presse, im Alltag und in der Schule der Sozialismus dargestellt?

Mechthild Pfeffel: Praktisch als eine Gleichberechtigung aller. Als eine Staatsform, in der alle für das Gemeinwohl mitgestalten können – und müssen. Ein gleichberechtigtes und gerechtes FüreinanderIeben. Jeder hatte seine Arbeit und sein gerechtes Auskommen.

Den krassen Gegensatz zwischen Arm und Reich, den wir heute haben, hat es damals so auch nicht gegeben. Denn die Löhne und Gehälter waren nicht so extrem unterschiedlich. Es wurde uns gesagt, dass im Sozialismus jeder die gleichen Chancen hat und im Westen überhaupt nicht. Dass man keine Chancen ohne die Partei hat, das haben sie uns natürlich nicht gesagt. Man musste in der Masse schön brav und treu mitschwimmen. In der Schulzeit sind die meisten der FDJ beigetreten. Bei ausserschulischen Veranstaltungen wurden den Kindern und Jugendlichen die Vorzüge unserer Weltanschauung beigebracht. Ich bin der FDJ jedoch nie beigetreten, habe also leicht rebelliert. Das Problem war dann aber, dass ich ans Gymnasium wollte und normalerweise hätte ich ohne FDJ dort nicht hinkommen können. Aber da ich im katholischen Heiligenstadt aufgewachsen bin, hat sich trotzdem eine Lösung ergeben. Denn Katholiken haben untereinander versucht, sich zu helfen. Mein Klassenlehrer hat mir gesagt, wenn ich eine Zusatzleistung erbringe, kann ich ans Gymnasium. Also bin ich zur Russischolympia- de gegangen und habe eine Medaille bekommen, sodass ich trotzdem ans Gymnasium gehenkonnte.

Hubertine Underberg: Grundsätzlich wurde der Sozialismus als Gegensatz zu unserer Staatsform, der sozialen Marktwirtschaft, dargestellt. Man hat aber nicht nur in der Presse etc. darüber erfahren, sondern konnte den Sozialismus auch aus erster Hand erleben, indem man in die DDR ging, was ich auch gemacht habe. In der Schule haben wir die Originaltexte von Marx und Engels gelesen. Wir haben dann am Stalinismus oder auch am Kommunismus von Mao, die alles Abwandlungen vom Kommunismus von Marx und Engels waren, gesehen, wie solche Systeme schnell ausarten.

Wie wurde in der Presse, im Alltag und in der Schule der Kapitalismus dargestellt?

Mechthild Pfeffel: Als Machtstreben des Staates unter Ausbeutung der Arbeiterklasse. Es ist eine egoistische Gesellschaft, bei der es keine Chancengleichheit gibt. Die Arbeiter müssen mit Niedriglöhnen auskommen und deren Kinder können auch keine höherbildende Schulen besuchen.

Hubertine Underberg: In Westdeutschland hatten wir nicht reinen Kapitalismus, sondern die soziale Marktwirtschaft, die den Grundsatz hat, dass Eigentum verpflichtet. Eigentum ist immer klar damit verknüpft, dass man dafür Verantwortung übernimmt, Steuern zahlt, dass man Mitarbeiter ordentlich behandelt. Ausserdem hat man in der sozialen Marktwirtschaft konstitutiv ein gewisses Wertesystem und demokratische Grundstrukturen. Kapitalismus kann es auch in absolutistischen Systemen geben. Es war eine Fremdzuschreibung vom Osten, das System im Westen Kapitalismus zu nennen.

Was wurde in den Medien über den Osten und den Westenberichtet?

Mechthild Pfeffel: Der Osten wurde gelobt und über den Westen wurde nur Negatives berichtet. In unserer Presse wurden besonders die Errungenschaften der DDR oder der befreundeten Nachbarstaaten publiziert. Wenn man die wahren Informationen wollte, musste man zwischen den Zeilen lesen.

Auf der DDR-Fahne waren die Symbole Hammer, Sichel und Ährenkranz zu sehen. So hat man die hohe Wertschätzung jedes einzelnen im System hervorgehoben, um ein gutes „Wir-Gefühl“ herzustellen, dass zum Gefühl beitragen sollte, dass die in einer gerechten, fortgeschrittenen Gesellschaft leben. Über den Westen wurde gern über Streiks berichtet und und deren gewaltsame Niederknüppelungen. Die ungerechten Löhne im Westen und die Luftverschmutzung waren auch Thema.

Man hat auch versucht, das Westfernsehen zu stören, damit wir es nicht empfangen konnten. Mir ist es heute noch komisch, wenn ich an Häusern vorbei gehe und ich kann auf den Fernseher sehen. Das hätte es bei uns nie gegeben. Unser Fernseher im Wohnzimmer hat so gestanden, dass ja niemand von draussen reinschauen konnte. Wir waren froh, dass wir überhaupt Westdeutsches Fernsehen empfangen konnten. So hatten wir einen objektiveren Blick auf die Welt.

Hubertine Underberg: Über Ostdeutschland wurde unterschiedlich berichtet. Die Qualität der ostdeutschen Medien war so schlecht, dass selbst die Ostdeutschen ihren Zeitungen nicht geglaubt haben. Deswegen war es für uns im Westen schwierig, Informationen darüber zu bekommen, was wirklich im Osten abgelaufen ist. Über Dinge wie Verhandlungen mit der DDR über Reiseerleichterungen oder den Freikauf von Bürgern der DDR oder die Mauertoten wurde schon berichtet. Thema war auch die Fernsteuerung der DDR Regierung aus Moskau. Es war genau bekannt, dass Walter Ulbricht, Wilhelm Pieck und Wolfgang Leonhard [die Gründer der DDR, Ulbricht wurde der erste SED-Chef, Anmerkung d. Red.] nach Kriegsende aus Moskau eingeflogen wurden, um im Osten ferngesteuert den neuen, kommunistischen Staat aufzubauen.

Was haben Sie von den Methoden der Stasi und der Überwachung im Allgemeinen mitbekommen?

Mechthild Pfeffel: Also man hat sicher nicht offen seine Meinung geäussert, weil das ganze Land mit Spitzeln durchsetzt war. Man hätte so die Arbeit verlieren oder sogar ins Gefängnis kommen können. Als ich im Studium war, wurden von der Stasi Gespräche mit Studenten geführt, um sie auszuhorchen oder um sie als Mitarbeiter zu rekrutieren. Ich weiss das von meinen Studienkollegen. Zum Glück hatte ich nie so ein Gespräch.

Hubertine Underberg: Man hat genau gewusst, was die Stasi macht. Auch in Ostdeutschland wusste man das genau. Wenn ich in der Studienzeit meine Kolleginnen in Ostdeutschland besuchte, gab es konkrete Vermutungen, welche Leute in ihrem Umkreis Spitzel waren. Sie wussten auch, was passiert, wenn man den Mund aufmacht. Es war also relativ bekannt – das war wohl auch der Wunsch der kommunistischen Führung, damit man so mit Hilfe der Angst das Volk unter Kontrolle behalten kann.

Wie stehen Sie zum Sozialismus?

Mechthild Pfeffel: Sozialismus, das ist eine gute Idee, aber meiner Meinung nach eine Utopie, die es nicht geben wird, weil der Mensch einfach nicht dem Ideal entspricht, das man dafür braucht. Der Mensch ist einfach zu egoistisch. Das sieht man in allen Staatsformen. Sobald jemand an die Macht kommt, schaut er, dass er das Beste für sich bekommt. Das hätte im Sozialismus nicht so sein sollen, aber man hat ja gesehen, wie die Regierenden der DDR gelebt haben und wie der Rest der Bevölkerung gelebt hat. Was ist das für ein Sozialismus?

Was wir erlebt haben, war ein sehr ungerechter Staat, der uns jegliche Freiheit genommen hat.

Hubertine Underberg: Marx und Engels waren zwei Idealisten, die zu einer Zeit der absoluten Ausbeutung der Arbeiterklasse gelebt haben, in der es noch keine Sozialwerke wie Rente oder Krankenversicherung gab. Ich glaube, dass die Ansätze und Missstände, die die beiden beschrieben haben, durchaus berechtigt waren. Ich glaube, dass sie viel zu Verbesserungen beigetragen haben. Ich glaube aber, dass ihr Idealismus von einem falschen Menschenbild ausgegangen ist, was man an den ganzen Entartungen der sozialistischen Systeme sieht. In der Wirtschaft haben Überschätzung und Allmachtsfantasien die Planwirtschaft geschaffen. Diese bis ins Detail in Fünfjahresplänen festgelegten Volkswirtschaften können nicht funktionieren.

Wie stehen Sie zu dem System, in dem wir heute Leben?

Mechthild Pfeffel: Ich finde gut, dass die Bürger hier in der Gemeinde, im Kanton oder sogar im Bund mitbestimmen können. Man kann Petitionen einreichen oder Volksinitiativen starten, um Veränderungen zu bewirken.

Im Bundesrat regieren 7 Bundesräte, die die grössten Parteien der Schweiz vertreten und nicht nur eine Partei.

Hubertine Underberg: Beim kritischen Blick auf das eigene System ist es wichtig zu sagen, dass der Markt nicht alles löst ohne Regulierung. Der Markt braucht klare Regeln, die auch überwacht und eingehalten werden müssen. Es braucht also beispielsweise ein klares, faires Steuersystem, was dann auch durchgesetzt wird und auf Werten aufbaut. Kapitalismus nur um des Kapitals Willen ist meiner Meinung nach nicht richtig. Man muss alles für den Menschen tun, damit sich der Mensch so gut wie möglich und eben unterschiedlich entfalten kann. Wenn man diese Regelsysteme geeignet wählt, führt dies zu einer sehr hohen Diversität, was ja eigentlich das ist, was wir alle wollen und brauchen um die Zukunft zu entwickeln.

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