Wann werde ich sein, wer ich nie war? – Ein philosophischer Dialog

Eine Analyse anhand dem Kriminalfilm „Das Schweigen der Lämmer“

Über Identität zu sprechen, heisst zwangsläufig, über sich selbst zu sprechen. Doch wer man selbst ist, lässt sich nicht leicht beantworten und bleibt vielleicht sogar ein lebenslanges Rätsel.

“Wer bin ich?”, eine der grossen Fragen aus der Philosophie. 

 

Geht man einmal davon aus, dass es sich bei uns tatsächlich um Lebewesen auf dem Planeten Erde handelt, ist bereits ein erster grosser Schritt in Richtung Identitätsbestimmung gemacht. Diese scheinbar selbstverständliche Annahme wurde in der Philosophie oft angezweifelt. Gibt es uns denn wirklich? Oder bilden wir uns die Erde und das Leben um uns herum ein? Ich gehe diesen Fragen bewusst aus dem Weg. Ihre Beantwortung würde zu weit führen. 

 

Zurück zu uns Menschen und der Erde (von denen wir nun annehmen, dass beide existieren). Auf die Frage, wer man sei, könnte man jetzt beispielsweise antworten: Ich bin ein Nachfahre des Homo Sapiens und befinde mich zurzeit im Zug zwischen Freiburg und Basel. Alles, was du sonst wissen musst, steht in meinem Personalausweis.

 

Das hat doch aber alles ganz wenig mit dir zu tun. Wer bist du über deine biografischen Daten hinaus?

 

Du meinst, da muss noch mehr kommen? Die Frage ist gar nicht so leicht. Bleiben wir für einen kurzen Moment bei der Person im Zug zwischen Freiburg und Basel und stellen uns vor, es handle sich bei ihr um eine junge Frau, die davon träumt, einmal Konzertpianistin zu werden. Sie sitzt deswegen täglich mindestens drei Stunden am Klavier und nimmt zweimal wöchentlich Unterricht bei einem renommierten Musiklehrer. Ihre Identität wird massgeblich von diesem Wunsch bestimmt.

Der Mensch ist also mehr als nur Bewohner der Erde. Der Mensch ist auch seine Träume und Sehnsüchte, seine Freuden und Ängste. Die Frage, wer man sei, wird zu einer persönlichen. Inwieweit man sich dabei von seinem Umfeld beeinflussen lässt, ist unterschiedlich. Ob man in einem wohlhabenden oder armen Elternhaus aufwächst und eine gute oder schlechte Schulbildung geniesst, ob man von seinen Eltern und Freunden die nötige Unterstützung und Wertschätzung erfährt oder nicht, all das trägt bei zu dem Bild, dass wir von uns selbst haben und die anderen von uns. Doch auch der genetische Bauplan spielt eine entscheidende Rolle: Ob ich Konzertpianistin werde, hängt auch von meiner Begabung und meiner Disziplin ab. Beide Welten, die soziale Aussenwelt und die molekulare Innenwelt, konstituieren unser Selbstbild. 

 

Eigentlich wollte ich wissen, wie es dazu kommt, dass Menschen Ideale haben und nach gewissen Dingen streben und inwiefern das ausmacht, wer man ist.

 

Mit dieser Frage stösst du zum Kern des Problems. Denn sobald wir in der Lage sind, uns Ziele zu setzen, beginnen wir, uns mit anderen zu vergleichen und deren Biografie nachzuahmen. Es setzt etwas ein, das man gewissermassen als die Aneignung fremder Persönlichkeitsmerkmale bezeichnen könnte. Unsere angehende Konzertpianistin wird davon sicherlich ebenfalls betroffen sein. Sie hat sich wahrscheinlich schon früh mit der Musikszene beschäftigt und Vorbilder gesucht, deren Lebensweg sie nun stückweise in ihren eigenen integriert.

 

Heisst das, dass wir ein Stückwerk aus vielen angeeigneten Identitäten sind?

 

Es ist sogar noch komplizierter: Die Identität ist ein artifizielles Konstrukt aus dem, was bereits in uns vorgezeichnet ist, dem, was wir von anderen übernehmen und dem, was andere in uns hineinprojizieren. Dadurch ist sie einem ständigen Wandel unterworfen. Indem sich unsere Umwelt verändert, verändert sich auch unsere Sicht auf sie und die Sicht anderer auf uns. Die Konzertpianistin etwa wird wahrscheinlich aufgrund ihres Geschlechts, ihres Aussehens und ihres familiären Hintergrunds von der Gesellschaft in eine bestimmte Schublade gesteckt, ihr wird sozusagen eine gesellschaftliche Identität zugewiesen. Das gilt natürlich nicht allein für sie. Es trifft auf uns alle zu. 

 

Ich fange langsam an zu begreifen…ich sehe, das Thema ist sehr vielschichtig – aber im Alltag vielleicht gar nicht so wichtig. Denn wer ich nie war, kann ich auch nicht werden. Aber ich kann alles daran setzen, einmal zu werden, wie ich gerne sein will. Es hat ja noch niemand behauptet, dass das nicht möglich sei…

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