Heute ist die Aufarbeitung des 2. Weltkrieges wichtiger Bestandteil der Geschichtsforschung.
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Wenn Geschichte einem Zweck dienen muss

Über die Manipulation und Instrumentalisierung von Geschichte in der Politik.

Geschichte ist allgegenwärtig. Sie bestimmt unsere Gegenwart, unsere Zukunft, unsere Kultur und unsere Gesellschaft. Und sie bestimmt unser Denken und Handeln. Obwohl es oft nicht den Anschein macht, versuchen wir, aus unserer Vergangenheit zu lernen und die Fehler unserer Vorfahren nicht zu wiederholen. Um aber aus Fehlern lernen zu können, müssen sie als solches klar erkennbar sein und auch so dargestellt werden. Da Geschichte jedoch der Vergangenheit angehört, kann man sie nicht überprüfen, nicht komplett rekonstruieren und nie ganzheitlich beweisen. Somit fällt es leicht, sie zu manipulieren und zu einem praktischen Instrument in Wahlkämpfen zu machen, mit ihr politische Entscheidungen zu rechtfertigen und sich mit ihr vor den Menschen auf leichte Art zu erklären.

So ist zum Beispiel jedem klar, dass die Schweiz neutral ist. Das ist auch ein Grundstein im Bewusstsein der Bevölkerung und wird von der Mehrheit nicht hinterfragt. In der Politik wird dieser Sachverhalt ebenfalls oft betont, meist um Vorstösse und Entscheidungen wie die Verweigerung eines EUBeitritts zu begründen. Dabei berufen sich viele Politiker auf unsere, laut ihnen extrem von Neutralität geprägte Vergangenheit. Was dabei aber aus taktischen Gründen oft ausser Acht gelassen wird, ist, dass die Schweiz durchaus nicht immer ihrem Codex der Neutralität bedingungslos gefolgt ist. So wurde im 2. Weltkrieg ein Grossteil der deutschen Transaktionen über Schweizer Banken abgewickelt und es steht der Verdacht, die Schweiz wäre nur durch enorme Zahlungen an das Dritte Reich von einem Einmarsch deutscher Truppen verschont geblieben. Dennoch wird unsere Neutralität in der Politik in den Himmel gehoben und zum hilfreichen Argumentationsmittel in Debatten, wobei es natürlich vermieden wird, die unangenehmen Seiten zu beleuchten.

“Fixiert man sich zu sehr auf die Ruhmestaten unserer Vergangenheit,
vergisst man schnell die negativen Seiten.”

Doch wird Geschichte nicht nur als Argumentationsmittel bei vergleichsweise kleinen Entscheiden verwendet, manchmal dient sie auch als Grundstein einer ganzen Ideologie. Das wohl bekannteste und verheerendste Beispiel einer derartigen geschichtsbezogenen Ideologie ist der Nationalsozialismus. Durch das extrem vergangenheitsorientierte Denken verloren in der Zeit des Zweiten Weltkrieges Millionen von Juden ihr Leben. Die germanische Mythologie wurde von den Nationalsozialisten als Beleg für die Überlegenheit der nordischen Völker ausgelegt und führte zur Legitimierung der Theorie der arischen Rasse, welche die Urrasse sei und deren Reinheit abgesichert werden muss. Laut den Nazis war das Volk der Arier aber durch die Existenz der Juden gefährdet, welche schädlichen Einfluss auf die sogenannte Herrenrasse hätten, was die Vernichtung des gesamten Judentums unabdingbar machte. Das ist das wohl präsenteste und meist diskutierte Beispiel von Instrumentalisierung der Geschichte der neueren Vergangenheit. Doch nicht nur in Nazideutschland hat man sich auf einseitige oder ungesicherte Darstellungen der Vergangenheit berufen. So werden zum Beispiel Gebietsansprüche anhand von Überlieferungen erhoben, wie zum Beispiel bei der Gründung des Staates Israel, welche darauf basiert, dass die Juden vor ca. 2000 Jahren aus ihrer Heimat im Gebiet des heutigen Israels vertrieben worden seien. Ob das wahr ist oder nicht, wird wohl nie jemand mit Sicherheit erfahren, doch zog das Argument offensichtlich, da Israel 1948 proklamiert wurde und von vielen Staaten anerkannt wird. Aber lässt sich die Gründung eines neuen Staates mitten im Gebiet eines bestehenden Staates und ohne hundertprozentige Zustimmung
dessen Bevölkerung einzig auf Indizien basierend wirklich legitimieren? Mit solchen Fragen werden wir immer wieder konfrontiert, ohne dass wir es merken. Erzählt uns jemand, der vorgibt, Ahnung zu haben, etwas über unsere glorreiche Vergangenheit, kommt kaum jemand auf die Idee, über die Objektivität der Aussage oder ihren Wahrheitsgehalt nachzudenken. Auch in unserer eigenen Argumentation sollten wir uns überlegen, ob wir uns komplett auf die Verhältnisse in der Vergangenheit stützen oder ob wir die heutige Situation anhand der jetzigen Gegebenheiten beurteilen und verändern wollen. Fixiert man sich zu sehr auf die Ruhmestaten unserer Vergangenheit, vergisst man schnell die negativen Seiten und läuft Gefahr, Weitsicht einzubüssen und die gleichen Fehler zu wiederholen

Hitler nutzte die Vergangenheit als Propagandamittel
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