Lula muss liefern

Seit Anfang Jahr hat Brasilien einen neuen Präsidenten. Luiz Inácio Lula da Silva gilt bei vielen als Hoffnung im Kampf Brasiliens gegen die Klimakrise. Er will bis im Jahr 2030 die Abholzung im Amazonas stoppen. Wie stehen die Chancen für seinen drastischen Kurswechsel in der brasilianischen Umweltpolitik?

„Wir werden keine Anstrengungen scheuen, die Entwaldung und den Verfall unserer Ökosysteme bis 2030 auf Null zu bringen.” Mit dieser Nachricht sorgte der neue brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva für grosse Euphorie auf der letztjährigen Klimakonferenz im November in Ägypten. Er will nicht nur die illegale Rodung des Amazonas-Regenwaldes stoppen, sondern die allgemeine Abholzung beenden. Dabei will Lula zudem mit den indigenen Völkern zusammenarbeiten und sie miteinbeziehen. 

Nach dieser Ankündigung schöpften vor allem Politiker:innen in Europa und den USA neue Hoffnung für den Kampf gegen die Klimakrise, bei welcher der Amazonas-Regenwald eine bedeutsame Rolle einnimmt. Um dem seit Januar amtierenden Präsidenten den umweltpolitischen Neustart zu erleichtern, stellte beispielsweise Deutschland Finanzhilfen im Wert von 200 Millionen Euro zur Verfügung. 

Anfang Februar: Erste Zahlen zur Abholzung für den Monat Januar werden veröffentlicht und sprechen von einem satten Rückgang der Waldrodung um 61 Prozent. Expert:innen weisen darauf hin, dass diese Statistik mit Bedacht bewertet werden muss. Dies hängt damit zusammen, dass Satelliten eine wichtige Stütze für die Überwachung des Regenwalds sind. Da im Januar im Amazonasgebiet oftmals eine regnerische und wolkenreiche Witterung herrscht, haben Satelliten nicht jederzeit Sichtkontakt zur Erde. Zudem können sich Fachleute auch vorstellen, dass landwirtschaftliche Betriebe in den ersten Wochen des neuen Kabinetts mit der Abholzung zögern. Dennoch verbucht Lulas Regierung diese erfolgreiche Meldung für sich.   

Anfang März: In den brasilianischen Medien ist zu lesen, dass die Abholzungszahlen für den Monat Februar stark angestiegen sind. Laut dem Institut für Weltraumforschung (INPE) könnte es sein, dass der diesjährige Wert der höchste seit Messbeginn für den Zeitraum Februar werden könnte. War es das nun mit dem hoffnungsvoll ersehnten Neustart?

Der 77-jährige Lula war zwischen 2003 und 2010 bereits Präsident von Brasilien. Zu seiner grossen Beliebtheit führten die verschiedenen Sozialprogramme, mit welchen er den Lebensstandard vieler Menschen verbesserte. Daneben gab es aber wiederholt Korruptionsvorwürfe und Affären rund um die staatliche Erdölgesellschaft Petrobras. Das Staatsoberhaupt wurde in einem umstrittenen Prozess zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. Diese wurde aber bereits 2018 wieder ausgesetzt und das gesamte Urteil vor zwei Jahren aufgehoben. 

 

Betrachtet man die Umweltpolitik in Lulas erster Amtszeit mit den heutigen Massstäben, muss festgehalten werden, dass seine Erfolge nur durchschnittlich waren. Die Abholzungsrate lag über den Werten während der Präsidentschaft Jair Bolsonaros (2018-2022). In Lulas ersten Amtsjahren lag sein Schwerpunkt auf einem starken Wachstum der Wirtschaft. Während dieser Zeit wurde das Fundament für den heute florierenden Landwirtschafts- und Erdölsektor gelegt. Dennoch kristallisiert sich bei der Abholzung ein wichtiger Unterschied zwischen den beiden Präsidenten heraus. Ab dem dritten Regierungsjahr von Lula sanken die Rodungszahlen, während bei seinem rechtspolitischen Amtsvorgänger Bolsonaro von Beginn weg ein Anstieg beobachtet wurde. Zwischen 2018 und 2022 ist die Abholzung um gigantische 70 Prozent gestiegen. Erst in Bolsonaros letztem Regierungsjahr verringerte sich die Waldzerstörung. 

Lula steht nun vor einem Scherbenhaufen. Jair Bolsonaro hat in seinen vier Jahren als Präsident Umweltbehörden, Gesetze und Budgets geschwächt und zu seinen Gunsten umgebaut. In den obersten Etagen sitzen Chefs, die mit der Thematik nicht vertraut sind. Es wurden zudem, auf Anweisung Bolsonaros, keine schützenswerten Naturreservate mehr ausgewiesen. Dabei bräuchte es gerade jetzt, auch im Hinblick auf die äusserst ambitionierten Vorhaben Lulas, schlagkräftige Einrichtungen, welche Umweltverbrechen konsequent verfolgen und bekämpfen. Denn heutzutage hat sich die Situation nochmals verändert. Kriminelle Banden kontrollieren grosse Teile des Regenwaldes. Das ist auch Lula bewusst. “Wir müssen unseren Plan von damals also nicht nur aktualisieren, wir brauchen mehr Infrastruktur, mehr Institutionen, mehr Personal.” Es sind gewaltige Aufgaben, vor denen das Land steht. 

Als Symbol für die Umweltpolitik unter Bolsonaro dient das brasilianische Umweltbundesamt Instituto Brasileiro do Meio Ambiente, kurz Ibama. Es verfügt normalerweise über eine wirkungsvolle Spezialabteilung, welche sich der Aufdeckung und Bekämpfung von kriminellen, umweltschädigenden Gruppen verschrieben hat. Doch der Behörde fehlen nun finanzielle Ressourcen und Fachpersonal. Zudem wurde die Institution rechtlich beschnitten. Bis das Ibama wieder über genug Personal verfügt, wird es trotz Reaktivierungen und Neueinstellungen dauern. Expert:innen gehen davon aus, dass erst in einem Jahr abschätzbar ist, ob die Anstrengungen gegen die Abholzung erfolgreich sind. 

 

Diese systematische Zerstörung bleibt nicht ohne Folgen. Laut Schätzungen von Fachpersonen wurden in der Zeit unter Bolsonaro mehr als 2 Milliarden Bäume gefällt, eine schier unglaubliche Zahl. Die Macht der Agrarindustrie hat sich in den letzten Jahren stark potenziert. Das südamerikanische Land gehört mittlerweile zu den weltweit grössten Erzeugern von Rindfleisch und Soja und die Zeichen stehen weiter auf Wachstum. Bereits heute gibt es mehr Rinder als Menschen in Brasilien. Zusätzlich gedeiht der illegale Goldabbau im Amazonasgebiet. Daraus resultiert eine immer stärkere Verseuchung der Landschaft durch Chemikalien. Ein weiteres Problem sind regelmässige Ermordungen von Aktivist:innen und Indigenen, die sich gegen dieses Vorgehen wehren. 

 

Lulas neues, linksgerichtete Kabinett muss folglich mit massiver Gegenwehr rechnen. Als wichtiges Zeichen für den angekündigten Kurswechsel gilt die Beförderung von Marina Silva zur Umweltministerin. Sie geniesst ein internationales Ansehen in Umwelt- und Klimafragen. Die zentrale Aufgabe für Lula, und das ist zugleich sein grösster Stolperstein, wird die Vereinbarkeit der verschiedenen Positionen und Interessen sein. Ein Grossteil der Gouverneure der Amazonas-Bundesstaaten gehört dem Lager Bolsonaros an. Sie sehen den Amazonas als ökonomisch profitabel und werden daher strengeren Vorschriften zur Abholzung skeptisch gegenüberstehen. Ein ähnliches Bild zeichnet sich bei der finanzstarken Landwirtschaftsbranche ab, bei welcher die Umweltpolitik über keine allzu hohe Priorität verfügt. 

 

Zudem befindet sich Lula in einer Zwickmühle: International wird er an den Erfolgen und seinen Versprechen im Kampf gegen die Rodung gemessen werden. Ein erheblicher Teil der brasilianischen Bevölkerung und seiner Wähler:innen hat Lula aufgrund seiner sozialpolitischen Vorhaben gewählt. Innenpolitisch wird er daher wirtschaftliche Erfolge vorweisen müssen. Um diesen Spagat meistern zu können, muss der 77-Jährige beide Bereiche, Klimaschutz und Sozialpolitik, miteinander verbinden müssen. Dafür braucht es grosse Summen an Geld. Der Aufruf an die internationale Gemeinschaft, sich an diesem für die gesamte Welt entscheidenden Prozess finanziell zu beteiligen, wird wahrscheinlich an Bedeutung gewinnen. Erschweren werden Lulas Vorhaben die konservative Mehrheit im Parlament, denn sie verfolgen eine andere Agenda für Brasiliens Wälder. Lula hat bereits angekündigt, nach dieser Legislatur aus dem Amt scheiden zu wollen. Er hat zwar die Chance, seine Zusicherungen aufzugleisen und vorzulegen, ab 2026 wird jedoch jemand anderes übernehmen müssen. Ob diese Person auch bereit ist, seinen Weg weiterzugehen, ist mehr als unklar.   

 

Aufgrund der vernichtenden Bilanz Bolsonaros lassen sich auch kleine umweltpolitische Fortschritte schon positiv verkaufen. 

Jedoch wissen auch Lula und seine Regierung nur zu gut: Wenn sie den grossen Worten keine konkreten Taten und messbare Erfolge folgen lassen, werden Bolsonaro und seine Anhänger:innen schnell wieder zurück im Spiel sein. Und der Kampf gegen die Klimakrise eine weitere Niederlage erleiden.         

   

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