Die Psychotherapie

Ein Perspektivenwechsel, der Einblick gibt in eine Welt voller einzigartigen Patienten und ähnlichen Schicksale.

Oft habe ich mich gefragt, wie eine Psychotherapie aus der Sicht eines Therapeuten oder einer Therapeutin aussieht. Wie nehmen Fachpersonen die vielen so unterschiedlichen und doch ähnlichen Therapiestunden wahr? Ich habe zu diesem Thema eine Ex-Patientin
und eine Psychotherapeutin, ich nenne sie hier Barbara Meyer, befragt.

Auch ist festzuhalten, dass dieser Artikel fast ausschliesslich auf Meinungen basiert und so auf keinen Fall als allgemeingültig angesehen werden kann, sondern nur eine von vielen Sichtweisen beschreibt.

Zu Beginn ist wichtig herauszufinden, wie Leute dazu kommen, eine Psychotherapie zu machen. Voraussetzung dafür ist natürlich eine Art von psychischer Belastung, wie auch immer diese auftreten mag. Gleich
danach komme, so Barbara Meyer, der Wille. Oft sind es (natürlich vor allem im Falle von Jugendlichen und Kindern) die Eltern, welche die Therapie wünschen, während sich die Betroffenen selbst weigern, das Problem anzuerkennen, dieses sogar leugnen. An den eigenen Problemen arbeiten, diese verstehen und sie im besten Falle sogar aus der Welt schaffen kann jedoch nur jemand, der dies wirklich will. Wichtig dabei ist nach Barbara Meyer auch, dass die Person diesen Wunsch äussert, in welcher Form auch immer. Trotzdem kann es sein, dass eine psychisch labile Person zur ersten (oder auch den ersten paar) Therapiestunde gedrängt wird.

Entwickelt jedoch die Person in dieser Zeit selbst keinen Wunsch nach einer Veränderung, so kann kein Psychotherapeut und keine Psychotherapeutin ihr weiterhelfen.

Der Therapeut oder die Therapeutin kann nur im übertragenen Sinne einen Raum bieten, wo Patienten vollkommen ehrlich sein können,
ohne dass sie mit Verurteilungen oder Erwartungen umgehen müssen. Das offene Ohr und die sachliche, jedoch in keinem Fall verständnislose Beteiligung der Fachperson ist selbstverständlich ein ebenso wichtiger Bestandteil einer Psychotherapie.

Aber wie läuft denn eine Psychotherapie tatsächlich ab? Was geschieht wenn man zum ersten Mal dort hingeht? Da Barbara Meyer ihre Patienten bei der ersten Therapiestunde ja auch zum ersten Mal sieht, habe ich mich gefragt, ob solche «erste Sitzungen» dann auch immer ähnlich ablaufen, immerhin muss man sich erst einmal annähern.

Frau Meyer erklärt mir, dass es durchaus Ähnlichkeiten zwischen den jeweiligen ersten Sitzungen gibt. Ihr beispielsweise ist es sehr besonders wichtig in dieser Kennenlern- und Problemanerkennungsphase, ihren Patienten die grösstmögliche Freiheit zu lassen. Das heisst, sie geht zwar darauf ein, was die Betroffenen sagen, lässt sie jedoch erst einmal selbst erzählen, wie es dazu kam, dass sie sich heute treffen.

Da jedoch der Inhalt, der bei diesen Gesprächen besprochen wird, sich jedes Mal so drastisch unterscheidet, kann man natürlich auf keinen Fall davon sprechen, dass alle «erste Sitzungen» gleich sind, vor
allem nicht aus der Sicht der Patienten.

Eine Schwierigkeit kann dabei natürlich sein, dass jeder Patient und jede Patientin weiss, dass der Therapeut oder die Therapeutin versucht ihm oder ihr zu helfen, weil es sein oder ihr Beruf ist. Man ist nur ein Name in einem Terminkalender, nur eine von vielen Stunden eines langen Arbeitstags, einer langen Woche.

Solche Gedanken können schnell aufkommen und sind sehr schwer loszuwerden, da immer ein Stück Wahrheit dabei ist. Tatsächlich
ist man eine von vielen Personen, die das Angebot einer Therapie in Anspruch nehmen, eine von vielen Personen, die die Aufmerksamkeit des Therapeuten oder der Therapeutin geniessen, obwohl es vielleicht
in Situationen von psychischer Schwäche wichtig wäre, sich besonders, einzigartig und wertvoll zu fühlen.

Es ist also umso wichtiger, sich selbst zu sagen, dass die Personen es sich zum Auftrag gemacht haben, anderen zu helfen und dass sie dies tun, weil ihnen tatsächlich etwas am Wohl jedes einzelnen Menschen
liegt. Dieses Gefühl wird, so Frau Meyer, am besten vermittelt, wenn Therapeuten oder Therapeutinnen authentisch bleiben, die Geschichten also auf keinen Fall an sich abprallen lassen.

Damit diese Geschichten jedoch nicht den Therapeuten oder die Therapeutin ebenfalls zerfressen, ist wichtig, dass sie eine so
genannte Selbsterfahrung machen, eine Therapie für Therapeuten.

Mitmenschen nehmen wohl oft wahr, dass von psychischen Krankheiten betroffene Menschen ihre Krankheit leugnen, diese nicht wahrhaben wollen. Ist die Person bereits soweit, dass sie einer Psychotherapie zustimmt, so hat sie das Problem jedoch meist erkannt.

Die Lügen und Schwindeleien sind in diesem Fall, meiner Auffassung
nach, eher ein Schutzmechanismus vor dem näheren Umfeld – sie wollen kein Mitleid, keine Sonderbehandlung, keinen Druck daran zu arbeiten und auch nicht vor sich selbst, denn es ist schwer, sich die direkten und drastischen Folgen einer psychischen Erkrankung einzugestehen und mutwillig zuzugeben, dass man eine Veränderung verdient und will.

Während des Besserungsprozesses sind natürlich auch starke Gefühlsausbrüche nicht selten. Dabei ist das Weinen wahrscheinlich häufiger als beispielsweise Schreien oder das Zerstören von Dingen.

Starke Gefühle sind eine wichtige Sache für die Psychotherapie. Wenn man weint oder schreit, vergisst man, was man sagen sollte, beziehungsweise wollte, man lässt heraus, was nicht mehr Platz hat.

Solche Momente sind wohl die ehrlichsten und somit sehr hilfreich für die Erkennung der ursprünglichen Problemen. Es ist jedoch für Therapeuten nicht immer einfach, damit umzugehen; obwohl es wichtig ist, dass starke Gefühle in der Therapie ihren Platz bekommen, müssen Fachpersonen darauf achten, dass die Situation nicht
eskaliert, denn wenn sich der Patient oder die Patientin nicht mehr bremsen kann, so gerät er oder sie in eine möglicherweise
unerträgliche Situation.

Gerade beim Ausdrücken von Gefühlen ist die Schweigepflicht sehr wichtig und ein Grund, weshalb Patienten sich einer völlig fremden
Person anvertrauen. Trotzdem gibt es Momente, in denen diese Aufgehoben werden kann und muss, dies geschieht jedoch in den
allermeisten Fällen mit der Einverständnis der Patienten.

Ein Beispiel für eine Situation, die die vorübergehende Entbindung von der Schweigepflicht rechtfertigt, ist die Äusserung von Suizidgedanken, die mit tatsächlichen Tatgedanken verbunden sind. Da in einem solchen Fall das Leben der Person deutlich gefährdet ist, kann der
Therapeut oder die Therapeutin bei einem/ einer dafür ausgebildeten RichterIn einen Antrag für die zeitweilige Entbindung von der Schweigepflicht stellen. Wird dieser bewilligt, so ist der Therapeut oder die Therapeutin dazu befugt, bestimmte Personen (beispielsweise Eltern oder Lehrer) über die Sachlage zu informieren. Frau Meyer setzt in diesem Falle erneut auf das Gespräch. Bevor sie einen rechtlichen
Antrag stellt, versucht sie mit der betroffenen Person einen gemeinsamen Weg zu finden, wie die Mitmenschen alle wichtigen Informationen erhalten können. Nur wenn der Patient oder die Patientin absolut uneinsichtig ist, entscheidet sie sich für den rechtlichen Weg.

Selbstverständlich nehmen auch Rückfälle einen beträchtlichen Teil im Genesungsprozess ein. Diese sollten jedoch nicht als Rückschläge betrachtet werden, auch wenn sie noch so unerfreulich sind.

Vielmehr sollte die Art der Rückfälle und die Abstände dazwischen
betrachtet werden, sodass Rhythmen festgestellt und damit Alltagsprobleme besser kategorisiert werden können.

Wenn die Rückschläge seltener werden, treten immer mehr positive Komponenten der Erkrankung, beziehungsweise der Therapie auf.

Obwohl psychische Schwäche das Leben für eine Zeit unerträglich machen, gibt es viele wertvolle Dinge, die man letztendlich aus der Krankheit mitnehmen kann.

Man lernt sich selbst als einen wertvollen Menschen zu betrachten und auch entsprechend mit dem eigenen Körper und Geist umzugehen. Man lernt die eigenen Bedürfnisse besser einzuschätzen und auch für diese einzustehen. Insbesondere lernt man auch, wie wertvoll die psychische Gesundheit ist und dass sie nicht grundsätzlich gegeben ist und man ihr deshalb Sorge und Wertschätzung zukommen lassen soll.

Auch fällt einem oft der Umgang mit den Problemen von Mitmenschen leichter, da man sich so intensiv mit den eigenen auseinandergesetzt hat, dass man lernt, was betroffenen Personen womöglich helfen könnte oder wie gewisse Probleme gedeutet werden können.

Meines Erachtens erleben Menschen, die solch schlimme Erfahrungen sammeln mussten, das gesamte Leben viel bewusster – eine wirklich wertvolle Veränderung.

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