Die Identität der Menschheit im Zeitalter der künstlichen Intelligenz

“Es ist schon interessant, wie die künstliche Intelligenz in den letzten Jahren so rasant gewachsen ist. Die ersten Computer, die einem Menschen bei einer Rechenaufgabe Paroli bieten konnten, waren die Deep Blue und die Deep-Blue-Versionen, die Kasparow besiegten. Seitdem hat sich so einiges getan. Heute sind etliche Dinge von Maschinen durchlaufen worden, die eigentlich für den Menschen reserviert sind. So lässt sich mittlerweile das Internet durchschauen, der Handel hat sich verändert und viele andere Dinge, die zum Alltag gehören ebenfalls. Der Mensch verliert also allmählich seine Vorrangstellung im Leben, denn viele seiner Aufgaben werden von Maschinen erledigt. Ich denke, dass die Zukunft in diesem Bereich höchst interessant sein wird.” Text generiert mit GPT3 (Sprachmodel von OpenAI)

Fällt etwas an diesem Text auf? Ist es einfach zu sagen, ob er durch einen Menschen oder eine Maschine geschrieben wurde? Gekostet hat der Textoutput bloss einen Account bei OpenAI, einen kurzen Input mit Kontext und Informationen zum Thema und einen Klick auf den «generate» Knopf. Fertig. Mit einem weiteren Klick generiert das Sprachmodell weitere Wörter und ergänzt den Text. Gefällt die Antwort nicht, kann der Input recycelt werden und ein völlig neuer Text wird generiert. Mit ein wenig Übung weiss man bald, wie man mit den richtigen Inputs und Einstellungen Aufsätze mit mehreren hundert Wörtern zu jeglichen Themen erstellen kann – zum Beispiel ein Artikel in einer Schülerzeitung… Zwar kommen gelegentlich unpassende, bis hin zu beleidigenden Outputs vor, dies liegt meist aber an der Qualität des Input und nicht an der Kapazität des Modells. Dank der immensen Datenbank an der das Modell trainiert wurde – dem Internet – löst es kompetent Probleme aus der Biologie, der Philosophie oder der Informatik. 

 

GPT3 ist die dritte Generation eines Sprachmodells, das von OpenAI, einem Forschungslabor für künstliche Intelligenz (KI), entwickelt wurde. Dahinter steckt eines der grössten und stärksten neuronalen Netzwerke weltweit. Es basiert auf einer gehirnähnlichen Struktur aus künstlichen Neuronen, die wie bei anderen künstlichen Intelligenzen von Grund auf neu gebildet wurde. Kurz gesagt, nimmt es den Input auf und wertet aus, welche Wörter am wahrscheinlichsten als nächstes kommen werden. Dass GPT3 das heute so gut kann, ist das Ergebnis jahrzehntelanger Forschung. Die Leistungsstärke dieser Maschine kann nicht unterschätzt werden.Und seit kurzem steht sie der Öffentlichkeit zur Verfügung. 

 

Schon heute ist die Kompetenz solcher Systeme beträchtlich, doch die Entwicklung in der IT-Branche ist alles andere als statisch. Es liegt auf der Hand, dass sich die Technologie auch in den nächsten Jahren und Jahrzehnten weiter verbessern wird. Das Anwendungsgebiet der künstlichen Intelligenz ist heute schon breit und für viele ist sie ein Teil des Alltags: Wir alle kennen die personalisierte YouTube-Werbung. Siri und Alexa ebenso. In Online-Shops oder auf Streaming-Seiten werden unsere Daten verwendet, um optimierte Empfehlungen zu erstellen. Unsere E-Mails werden auf Spam gescannt. In den sozialen Medien werden einerseits falsche Informationen generiert und verbreitet, andererseits werden sie auch herausgefiltert. Künstliche Intelligenz wird auch bei der Datenanalyse oder bei autonomen Fahrzeugen eingesetzt. Und Übersetzer wie DeepL oder GoogleTranslate hat wohl schon jeder benutzt.

 

Künstliche Intelligenz ist nun auch in Bereichen zu finden, in denen früher menschliche Kreativität oder Erfindungsgabe als notwendig angesehen wurden. Beispielsweise bei der Modellierung und Berechnung der 3D-Struktur von Molekülen, beim Nachweis von mathematischen Formeln oder bei der Nachbildung oder gar Kreation von Kunst oder Musik. Als technische Leistung ist dies beeindruckend. Die sozialen Auswirkungen hingegen sind bedenklich.

 

Zwar mag die Technologie selbst harmlos sein, sie birgt aber ein enormes Missbrauchspotenzial, das bereits heute zu beobachten ist. Insbesondere Sprachmodelle im Stil von GPT3 sind sehr heikel, wenn es um die massenhafte Verbreitung von Desinformationen geht. In einer Zeit, in der soziale Medien eine immer grössere Rolle als Informationsquelle spielen, ist dies problematisch. In autoritären Staaten wird die Überwachung und Manipulation von Menschen durch ausgefeilte Gesichtserkennung, Verhaltensanalysen oder eben die automatische Verbreitung von Desinformation und Propaganda erschreckend einfach. Politische Skandale wie während dem US-Wahlkampf 2016 sind ein Beispiel. 

Abgesehen von menschlichem Missbrauch der Technologie birgt KI an sich auch gewisse Risiken. Ein mögliches, gar wahrscheinliches Postulat ist, dass KI in Zukunft einen Punkt erreicht, an dem sie sich selbst verbessern kann. Ab dort würde die Fähigkeit der KI explosionsartig und unkontrolliert wachsen und menschliche Intelligenz bei weitem übertreffen. Was nach Science-Fiction klingt ist ein als Singularität bekannter Zeitpunkt, den einige Experten bereits zwischen 2040 und 2050 erwarten. Die Frage, wie sich eine solche Superintelligenz den Menschen gegenüber verhalten wird, liegt auf der Hand. Klar ist auch, dass eine solche Technologie massive Veränderungen in unserer digitalisierten Gesellschaft auslösen könnte.

 

Doch KI muss nicht viel weiterentwickelt sein, um ein uraltes Problem philosophischer Natur aufzuwerfen: der Sinn der menschlichen Bestrebungen. GPT3 ist bereits fähig die meisten Schulaufgaben zu erledigen. In Zukunft wird es den Bereich seiner Fähigkeiten nur vergrössern. Das wirft Fragen auf, die man sich vielleicht in anderer Form auch schon gestellt hat: Wieso mache ich noch meine Franz-Aufgaben, wenn eine KI sowieso einen besseren Text schreibt? Welchen Wert hat ein von Menschen geschriebener Essay, wenn eine KI in derselben Zeit tausende ähnliche generieren kann? Welchen Wert hat die Arbeit einer Mathematikerin, wenn eine KI innert kurzer Zeit Formeln beweisen kann, vielleicht sogar neue für uns unverständliche, aber richtige Theorien aufstellt? Welchen Wert hat die Musik eines Pianisten, wenn eine KI am Fliessband bessere Musik produzieren kann? Oder die Arbeit einer Künstlerin, wenn Ihre Kunst ohne weiteres durch eine Maschine nachgeahmt werden kann?

 

Es wäre falsch, diese Beispiele als unrealistisch oder in ferner Zukunft liegend abzutun. Umso dringender stellt sich die Frage, warum wir Menschen das tun, was wir tun? Vorbei sind die Zeiten, in denen Menschen eine Arbeit nur um ihrer selbst willen machen. Abgesehen vom erheblichen Einfluss, den das auf Berufe im Dienstleistungssektor haben könnte, wird der Mensch gezwungen sich mit der Frage nach dem Sinn des Lebens auseinanderzusetzen. Was wollen wir als Menschheit erreichen und was definiert uns als Menschen? 

 

Die Weiterentwicklung der künstlichen Intelligenz ist praktisch unaufhaltbar. Dies sollte jedoch kein Grund sein, in eine existenzielle Schockstarre zu verfallen. Bis die Technologie ausgereift ist und alle Lebensbereiche erreicht hat, dauert es wohl doch noch ein bisschen. Wichtig ist es dennoch, sich frühzeitig Gedanken über die gesellschaftlichen Folgen zu machen, um künftige Fehlentwicklungen vorzubeugen und die Zukunft – wie diese auch aussehen mag – mit offenen Armen empfangen zu können. 

 

Um die Fähigkeiten heutiger KI zu testen, spielt man am besten selber damit herum: 

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